Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Badezimmerboden landet als im Abfluss. Dauert der Duschgenuss länger als zehn Minuten, bahnen sich die Fluten unter der geschlossenen Badezimmertür hindurch ihren Weg in den Schlafbereich, wo sich das Parkett am Abreisetag mahnend wellt. Alternativ kann der Gast natürlich sämtliche verfügbaren Handtücher auf den Badezimmerfliesen ausbreiten. Durstig saugt das Frottier das Duschwasser auf und schmatzend gibt es kleine Dosen davon beim Auftreten wieder frei. Während der restlichen Körperpflege in der Nasszelle kommt man sich auf dem wassergetränkten Untergrund vor wie eine Asiatin, die ihr Reisfeld bestellt. Mein Vorschlag zur Güte: Nach der überraschenden Senkung der Mehrwertsteuer auf Hotelübernachtungen um zwölf Prozentpunkte sollten die frei gewordenen Mittel für zwölf Zentimeter mehr Glaswand eingesetzt werden.
Und weil ich gerade beim Thema bin, noch eines, verehrte Herbergsväter: Es mag auf den Plänen der von euch beauftragten Architekten fesch aussehen, die Badezimmer nur durch Glas oder aber gar nicht vom Schlafraum abzutrennen. Sicherlich hat euch der Reißbrettkünstler auch etwas von einem völlig neuen Raumgefühl vorgeschwafelt. Aber schrillt denn da nicht die Alarmglocke des gesunden Menschenverstands? Möglicherweise übernachtet man in einem Doppelzimmer auch mal mit einem Menschen, der einem nicht so nahesteht, dass man ihm in Nachttischlampenentfernung beim Duschen zuschauen will? Ich hatte bisher kein Interesse daran, den Einsatz eines Ladyshavers an meiner sechzigjährigen Mutter en détail zu verfolgen. Und wenn’s nach mir ginge, würde ich zu Ungunsten des Raumgefühls auch weiterhin gerne darauf verzichten.
Mag sein, dass ich mich gerade mal wieder besonders leicht ablenken lasse, aber ein unlängst verwendetes Wort bringt mich dazu, noch einen Grundsatz zu postieren. Im Zusammenhang mit Hotelzimmern im Original-DDR-Zustand fiel der Begriff »Kult«, der mittlerweile inflationär verwendet wird. Alles ist Kult: Jedes Musical, jede Filmfortsetzung, etliche Fußballvereine, Kneipen, Automobile, Kleidungsstücke, alles schmückt sich in der Werbung mit dieser Bezeichnung. Dabei kann Kult nur entstehen und sich nicht selbst verordnet werden. Wer sein Leben mit einem Hauch Individualismus garnieren will, hüte sich vor Veranstaltungen, Etablissements und Accessoires, die es nötig haben, sich den Kultstatus selbst zu verleihen.
Zaubern Sie sich den Kult lieber selbst in Ihr Leben, indem Sie Dinge tun, die Sie von sich nicht erwartet hätten. Setzen Sie sich bei Ihrem nächsten Städtetrip in Bus oder Straßenbahn, kaufen Sie sich eine Tageskarte und fahren Sie die wichtigsten Linien bis zu ihren jeweiligen Endhaltestellen ab. Schauen Sie sich die Vororte an, dort wohnen die Menschen einer Stadt, nicht in der Fußgängerzone. Lauschen Sie den Gesprächen und ergötzen Sie sich an der Vielfalt der Dialekte in unserem Land. Vertiefen Sie sich in die Liniennetzpläne des jeweiligen Verkehrsverbundes. Ist Ihnen zum Beispiel schon mal aufgefallen, dass in Hamburg gerade mal drei U-Bahn-Linien den ÖPNV einer 2,3-Millionen-Einwohner-Stadt bewältigen, wovon die U3 auch noch im Kreis fährt, wenn sie nicht gerade »Wandsbek-Gartenstadt« anfährt, eine Endhaltestelle außerhalb dieses Kreises, die die Hamburger Ringlinie auf den Plänen so aussehen lässt, als hätte jemand das Sternbild »Großer Wagen« um 180 Grad gedreht? Insgesamt befinden sich auf Hamburger Stadtgebiet 117 Haltestellen, die von S-oder U-Bahnen bedient werden. Zum Vergleich: In der Stadt Kassel (195000 Einwohner) halten wie auch immer geartete Schienenfahrzeuge an 103 Stationen. In Hamburg freut man sich also nicht nur, wenn eine Bahn kommt, sondern allein schon über den Umstand, dass man eine gefunden hat.
Wenn Sie mal in der unglückseligen Situation sein sollten, in Hannover auf eine Bahn zu warten, wundern Sie sich nicht, wenn sich am Horizont eine fahrende Rolle Alufolie nähert. An den Gestaden der Leine hat man sich nämlich für rundliche, schillernde Silberlinge der Bahnmanufaktur Linke-Hofmann-Busch aus dem benachbarten Salzgitter entschieden, die von einem britischen Designer entworfen wurden. Dass britisches Design den Geschmack der Festlandseuropäer selten trifft, lässt sich am Misserfolg sämtlicher je in größerer Stückzahl produzierter Automobile von der Insel bemessen. Warum sollte es bei Stadtbahnen also plötzlich anders sein?
Was in Hannover zu rund und zu silbern daherkommt, ist in
Weitere Kostenlose Bücher