Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Stuttgart zu gelb und zu eckig. Außerdem sieht das schwäbische Stadtbahnmodell DT 8 wegen seiner leicht nach innen versetzten Scheinwerfer immer so aus, als sei es mit einem massiven Silberblick zur Welt gekommen. Allerdings sind die Anforderungen in der Schwabenmetropole auch andere als im Rest des Landes: Die Züge müssen in der Lage sein, Höhenunterschiede von knapp 300 Metern zu bewältigen. Das schafft der DT 8 regelmäßig und rutscht selbst voll beladen den Berg nicht wieder hinab. Schwierigkeiten macht allerdings der enorme Radius, den die Züge brauchen, um eine Kurve zu bewältigen. In einer Stadt, die aufgrund ihrer Topographie so gut wie nur aus Kurven besteht, sind sie daher vielleicht nicht der glücklichste Griff gewesen.
Immerhin sind die Linien zwischen Hedelfingen und Zuffenhausen vernünftig durchnummeriert, nämlich von 1 bis 15. Nicht wie in Düsseldorf. Dort heißen die Stadtbahnen U70 bis U79 und die Straßenbahnen 701 bis 719. Es mag ja angehen, dass in einem verdichteten Raum wie der Rhein-Ruhr-Region Begehrlichkeiten bei der Nummerierung entstehen – und jede Stadt gerne die einstelligen Liniennummern für sich beanspruchen würde, aber als Landeshauptstadt lasse ich mir doch nicht das Heft derartig aus der Hand nehmen! Alle Linien vorne mit 7! Klingt doch so, als gäbe es drumherum noch sechs wichtigere Städte. Schlecht verhandelt, Düsseldorf!
Der Grandseigneur aller Öffentlichen Personen-Nahverkehre Deutschlands ist ohne Frage der Berliner. Allein der Streckennetzplan ist für mich näher an den schönen Künsten als am Pragmatismus. Nicht umsonst gibt es T-Shirts, Postkarten und Tassen mit diesen edel sich schwingenden, sich trennenden und wieder vereinenden, in Farb-und Schriftbild alles übertreffenden Linien, die von den äußeren Schwingen der Bundeshauptstadt bis in ihr stolzes Herz reichen. Manch täglicher Nutzer der BVG mag weniger Poesie dabei empfinden, schließlich hat es sich mittlerweile bis in die Provinz herumgesprochen, dass einige S-Bahnen nur in ungeraden Schaltjahren zu ausgewählten Vollmondnächten betriebstauglich sind, aber dennoch scheint von diesem Nahverkehr ein gewisser »Kult« auszugehen – und zwar kein selbstverordneter.
Irgendwelche Fans haben sich sogar die Mühe gemacht, von sämtlichen Berliner S-und U-Bahnstationen Anagramme zu bilden. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass mir das ganz gut gefällt, wenn aus der Schoenhauser Allee der »Ehelosen-Auslacher« wird. Oder aus Schöneweide »Schweineöde«. In Oranienburg wohnen nach der Buchstabenumstellung »Nur Grobiane« – und die Otisstr. an der U6 ist »so trist«.
Ein weiterer Pluspunkt des Berliner ÖPNV ist das unschlagbare Preis-Leistungsverhältnis. Nicht, dass 2,30 Euro (Stand 2012) jetzt der absolute Schleuderpreis wäre, in der Relation allerdings schon. Wenn Sie zum Beispiel an der Frohnauer Haltestelle Hubertusweg einsteigen und bis Moßkopfring auf der Halbinsel Rauchfangwerder fahren, dürfen Sie fast zwei Stunden in trockenen und meist geheizten Verkehrsmitteln fahren und die rund fünfzig Kilometer lange Strecke bewältigen. Und das zeigen Sie mir mal woanders – fünfzig Kilometer für 2,30!
Kommen wir über einen kleinen Schlenker zur Besonderheit des Münchner Liniennetzes: Normalerweise enden S-Bahnen in mittelgroßen Städten, die in einem Radius von etwa dreißig bis vierzig Kilometern um eine Großstadt herum liegen. Wie zum Beispiel in Stuttgart. Dort verkehren die Bahnen bis Herrenberg (31000 Einwohner), Kirchheim/Teck (40000 Einwohner), Schorndorf (40000 Einwohner), Backnang (35000 Einwohner) oder Bietigheim-Bissingen (42000 Einwohner). Das ergibt schon beim ersten Hinsehen Sinn, weil sich diese Städte wie Satelliten um das Oberzentrum herum scharen und dahinter die Provinz beginnt. In München dagegen hat man die bizarre Vorliebe, die Bahnen mitten in der Provinz enden zu lassen. Die S4 zum Beispiel kommt leider nur bis Geltendorf mit seinen 5500 Einwohnern, die entscheidenden restlichen fünfzehn Kilometer bis Landsberg am Lech schafft sie nicht. Die S2 muss sich am Endhalt Petershausen (6100 Einwohner) ganz dringend ausruhen, obwohl wiederum fünfzehn Kilometer weiter in der Kreisstadt Pfaffenhofen an der Ilm 25000 Menschen über eine Anbindung froh wären. Der S3-Endstationsgemeinde Mammendorf muss man zugutehalten, dass dahinter wirklich erst mal eine Weile nichts kommt. Aber nichts geht über mein Lieblingsfinale an der Station Kreuzstraße. Dieser
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