Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Neben dem eigenen Parlament mit seinen vier Ministerien gönnt man sich zwei öffentlich-rechtliche Radio-und einen Fernsehsender. Dazu eine deutschsprachige Tageszeitung, eine Festivalreihe und natürlich deutsche Warnhinweise auf Zigarettenschachteln im ganzen Land. Für die einzige Filiale einer berühmten amerikanischen Hamburgerbraterei in der DG werden sogar eigens die papiernen Tablettauflagen auf Deutsch gedruckt. Man kann also zu der Vermutung kommen, dass die 75000 Einwohner hauptsächlich damit beschäftigt sind, Dinge für ihre Sondersprachzone zu verfassen oder zu produzieren, die nicht verfasst oder produziert werden müssten, wenn es diese Sondersprachzone nicht gäbe. Neben unserer Sprache hat die DG aber auch eine unserer Haupttugenden, nämlich die deutsche Ordentlichkeit, übernommen: Zwischen Eupen und Sankt Vith hängen deutlich weniger Kabel über den Straßen als im Rest des Landes.
Um noch mal kurz auf die beleuchteten Autobahnen Belgiens zurückzukommen: Noch irritierter als wir müssen Slowenen sein, die über die einst taghellen Schnellstraßen gerollt sind. Warum gerade Slowenen? Ich erkläre es Ihnen: Das kleine Land südlich der Karawanken ist nämlich weltweiter Vorreiter im Kampf gegen die sogenannte Lichtverschmutzung. Seit 2007 regelt ein Gesetz, dass Straßenlaternen bitte nur den Bereich ausleuchten, dessentwegen man sie aufgestellt hat, nämlich die Straße. Außerdem wurde ihr Licht von Weiß auf Gelb umgestellt, weil gelbes Licht weniger weit streut als weißes. Die slowenische Antilichtverschmutzungsfaustregel (wow, 33 Buchstaben) lautet: Kein Lichtschein darf über den Horizont hinausgehen. Sehenswerte Gebäude werden also nicht mehr von unten nach oben, sondern allenfalls seitlich bestrahlt. So genannte »Sky-Beamer«, wie vor deutschen Großraumdiskotheken gerne verwendet, sind komplett verboten.
Hobby-Sterngucker stören sich schon lange an der künstlich erzeugten Helligkeit, die unsere Nächte mehr an Dämmerung als an komplette Dunkelheit erinnern lassen. Waren früher an einem klaren Tag mit bloßen Auge noch rund 2500 Sterne zu erkennen, sind es jetzt nur noch um die 500 Himmelskörper. Vögelchen werden durch die Lichtverschmutzung ganz chouchou, weil ihre kleinen Köpfchen nicht differenzieren können, ob das Licht von Lampe oder Sonne kommt. Und wir Menschen bilden das wichtige Hormon Melatonin, das uns unter anderem vor Müdigkeit am Tag schützt, nur bei völliger Dunkelheit. Mit diesem Argument hat ein Arzt vor ein paar Jahren das slowenische Parlament so beeindruckt, dass alle Parteien für das Gesetz gestimmt haben. Falls Sie diese kleine Vorreiternation besuchen wollen und noch nicht genau wissen, wo sie liegt, ganz einfach: Reisen Sie rasch zur Raumstation MIR, werfen sie des Nachts einen Blick auf Europa – und da, wo’s dunkel ist, da ist Slowenien.
Slowenien weist übrigens eine interessante Parallele zu Bayern auf: Obwohl der Alpenraum nur einen geringen Teil der Landesfläche einnimmt, wird im touristischen Sektor so getan, als sei das ganze Land hochalpin und von schneebedeckten Dreitausendern umstanden. Wenn Sie einen Menschen irgendwo im Ausland auffordern, »Bavaria« zu zeichnen, werden möglicherweise Bierkrüge, vielleicht Lederhosen, eventuell auch Würste, ganz sicher aber die Alpen eine Rolle spielen. Und das, obwohl man problemlos Hunderte Kilometer durch Bayern fahren kann, ohne sie auch nur einmal zu sehen. Nochmal kurz zurück zu Slowenien: Wenn Sie das Land auf einer Europakarte gefunden haben, fällt Ihnen vielleicht auf, was diese Nation, genauso wie Italien, richtig gemacht hat. Falls nicht, verrate ich es Ihnen kurz: In Slowenien und Italien sind die höchsten Berge im Norden und das Meer im Süden. Das ist eine schlaue Anordnung, denn Berge nutzt man gerne zum Skifahren, Meere zum Baden. Im Norden ist es normalerweise kälter als im Süden, was schneereiche Winter in den Bergen bedeutet und milde Frühlingsnächte in den mediterranen Regionen (wir sprechen von der Nordhalbkugel, schon klar). Deutschland ist leider genau andersherum angeordnet: An den badetauglichen Stränden von Nord-und Ostsee steigt das Thermometer selten über 25 Grad, während fiese Föhnwinde in den Alpen dafür sorgen können, dass der Schnee schon im Januar auf einzelne, traurige Fleckchen zusammenschrumpft. Sollten Sie jemals in die Situation kommen, ein komplett neues Land zusammenbasteln zu dürfen, sollten Sie diesen Gedanken nicht außer Acht
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