Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
die zehn Minuten auch brav ein violettes Scheinchen auf dem Armaturenbrett hinterlegt hat. Angesichts solcher Auswüchse empfehle ich allen Deutschen, erst in den Chor der Bürokratiekritiker einzustimmen, nachdem sie überprüft haben, ob es anderswo nicht vielleicht noch viel schlimmer zugeht als im eigenen Land.
Manchmal hat man das seltene Glück, miterleben zu dürfen, wie sich die Obrigkeit selbst ein Bein stellt: 1992 wurde eine Vielzahl von Schildern neu gestaltet. Ein paar davon durchaus sinnvoll, weil sich im Lauf der Jahrzehnte Moden, Designs und Verkehrsmittel verändert haben. Die Beschilderung »Vorsicht, Bahnübergang« erfolgte bis zur Neuregelung mittels einer gutmütigen, vierachsigen Lok, aus deren Esse der Dampf lustvoll quoll. Da das Zeitalter der regulär verkehrenden Dampfloks in Deutschland schon 1977 beendet war, lag ein Schilder-Update nahe. Seit 1992 also braust ein recht zeitgemäßer Zug auf dem Signet heran.
Der Mann auf dem Zebrastreifen hat bei der Neubeschilderung seinen Hut eingebüßt, der Bauarbeiter seine Schiebermütze. Bis hierhin recht nachvollziehbare Modifikationen, die einer gewissen Änderung der Outfits Rechnung tragen. Albern wird es in anderen Bereichen. »Achtung, Viehtrieb« zum Beispiel: Vor der Neugestaltung hatte die Kuh drei Beine, was daran lag, dass sich das zweite Vorderbein hinter dem ersten versteckte. Dafür deutete sich in der Nähe des hinteren Gebeins eine euterartige Wölbung an. Im neuen Look zeigt uns das Schild eine wahrhaftig vierbeinige Kuh, die allerdings das dem Betrachter zugewandte Hinterbein leicht vorstellt, womit schamhaft die Euterpartie überdeckt wird.
Auch beim Hinweis »Wanderparkplatz« sind Wölbungen passé. Auf dem veralteten Schild muss bei der Frau von nichts weniger als einem Luder gesprochen werden. Lasziv wehendes Haar, aufreizend kurzer Rock und eine – aus männlicher Sicht – erfreulich im 90-Grad-Winkel ausgerichtete Brust: So kam bis 1992 das flanierende Fräuleinwunder daher. Und zwar in gebührendem Abstand hinter dem Mann, der mit Rucksack, Wanderstock und Filzhut ausgestattet war. Was blieb davon übrig? Zwei Neutren mit Kugelköpfen, ohne jegliche geschlechtsspezifische Extremitäten. Bedauerlich.
Wie kam es aber nun, dass sich die Obrigkeit bezüglich dieser Neuregelung selbst ein Bein stellte? So: Nachdem also 1992 ein ganzer Satz aufgepeppter Verkehrszeichen in Umlauf gebracht wurde, stellte sich die Frage, was denn nun mit den alten passiert. § 53, Absatz 9 der Straßenverkehrsordnung regelte das Problem: »Verkehrszeichen in der Gestaltung nach der bis zum 1. Juli 1992 geltenden Fassung behalten auch danach ihre Gültigkeit. Ab dem 1. Juli 1992 dürfen jedoch nur noch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen mit den neuen Symbolen angeordnet und aufgestellt werden.« Ins Verständliche übersetzt: Es werden zwar nur noch die neuen Schilder aufgestellt, die alten bleiben aber weiterhin gültig. Nun trug es sich allerdings zu, dass dieser Passus im Jahre 2009 versehentlich gestrichen wurde. Mit einem Schlag haben also alle Schilder aus der Zeit vor 1992 ihre Gültigkeit verloren. Das wäre im Fall von »Wanderparkplatz« oder »Kuh« noch verkraftbar gewesen, dramatischer zeigte sich die Lage bei Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Parkverboten: Prozessierfreudige Automobilisten hätten bei Verstößen ihren Kopf aus der Verwarnungsschlinge ziehen können, weil ihnen ja nur ein ungültiges Schild die Raserei oder das Abstellen ihres Wagens verbot. Außergewöhnlich schnell reagierte die Politik – und setzte § 53, Abs. 9 wieder in Kraft.
Hmmmmjajahahaaaneinnöhmmmdoch? Sie fragen sich, was ich hier tue? Ich hadere mit mir. Und zwar mit der Überlegung, ob ich meinen genialen Parkplatztrick verraten soll oder nicht. Na, okay, weil Sie es sind, aber posaunen Sie es nicht unqualifiziert weiter. Es ist nämlich so, dass viele Behindertenparkplätze nur temporär für Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit freigehalten werden müssen. In der Nähe von Arztpraxen zum Beispiel gilt die Regelung oft nur von 9 bis 16 Uhr. Danach darf sich jeder da hinstellen. Einfach so! Weil die meisten Autofahrer im Zusammenhang mit Behindertenparkplätzen aber sofort den Abschleppwagen kommen sehen, schauen sie sich das Schild oft gar nicht bis zum Schluss an – und lassen die Lücke einfach frei. Daher mein Tipp: Im Angesicht einer Behindertenparkbucht besonnen reagieren. Das Verkehrszeichen in Ruhe bis zum Ende
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