Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
Wie der Polizeisprecher gesagt hatte, war es ohne sichere Anhaltspunkte zwecklos, Zeit und Mühe darauf zu
vergeuden, sich bestimmte Szenarien auszumalen. Ich beschloß, mich auf vier Punkte zu konzentrieren. Erstens: Kelly und mich zu schützen; zweitens: das Zielobjekt weiter zu überwachen, um herauszubekommen, ob die PIRA etwas mit Kevs Tod zu tun hatte; drittens: mir von Pat Geld zu leihen, um nach England zurückkehren zu können; viertens: mit Euan Verbindung aufzunehmen, damit er mir half, mit Simmonds klarzukommen –
notfalls durch Verhandlungen, falls ich nichts für ihn hatte.
Ich sah zu Kelly hinüber. Sie lag auf dem Rücken, imitierte wieder mal einen Seestern und träumte
vermutlich, sie sei Katherine, das rosa Girl. Die arme Kleine tat mir leid. Sie hatte keine Ahnung, was ihren Eltern und ihrer Schwester zugestoßen war. Irgend jemand würde es ihr eines Tages sagen müssen. Ich konnte nur hoffen, daß sie zu netten Leuten kommen würde; vielleicht zu ihren Großeltern, wer immer sie sein mochten.
Immerhin lebte sie noch. Bei den anderen Jungs
herrschte bestimmt helle Panik. Sie mußten annehmen, daß Kelly sie mir beschrieben und mitbekommen hatte, 261
worum es bei der Auseinandersetzung gegangen war.
Bestimmt unternahmen sie verzweifelte Anstrengungen, uns aufzuspüren.
Ich überlegte, ob es möglich sein würde, Kelly weitere Informationen zu entlocken, gab diesen Gedanken aber rasch wieder auf. Ich war kein Psychologe, sondern bestenfalls jemand, der selbst einen brauchte.
Ich schlug eine Motorradzeitschrift auf. Bis ich sie ausgelesen hatte, war ich vom Ducati-Fan zum BMW-Fan geworden. Dann las ich in einem Anglermagazin, wie wundervoll der Lake Tahoe für Männer in hüfthohen Gummistiefeln war, und verlor mich in einer ganz neuen Welt aus Ködergrößen und Glasfaserruten, als plötzlich an unsere Zimmertür geklopft wurde.
Ich reagierte automatisch. Ich riß die Sig heraus, entsicherte sie und sah zu Kelly hinüber. Vielleicht sind wir beide bald tot, sagte ich mir.
Ich hielt ihr mit einer Hand den Mund zu, während ich sie wachrüttelte. Sie wachte ängstlich auf. Ich legte eine Hand auf meine Lippen. Das war keine freundliche
Ermahnung, sondern ein klarer Befehl, die Klappe zu halten und keinen Ton zu sagen.
»Augenblick, komme gleich!« rief ich nach draußen.
Ich hastete ins Bad, stellte die Dusche an, kam sofort wieder heraus und fragte an der Tür: »Hallo, wer ist da?«
Eine Pause. »Zimmermädchen.«
Ein Blick durch den Türspion zeigte mir eine
Schwarze Anfang Fünfzig; sie trug die Uniform eines Zimmermädchens und hatte ihren Putzwagen hinter sich stehen.
262
Sonst war draußen niemand zu sehen, aber falls auf beiden Seiten der Zimmertür Polizeibeamte oder Luthers Jungs lauerten, würden sie sich bestimmt nicht zeigen.
Ich musterte sie prüfend und versuchte aus ihrem Blick zu erkennen, was hier vorging. Er würde mir bestimmt verraten, ob hinter der nächsten Ecke des Flurs zehn Schwerbewaffnete mit schußsicheren Westen
bereitstanden.
»Danke, heute nicht«, wehrte ich ab. »Wir wollen
ausschlafen.«
Ich sah, wie sie den Kopf senkte, und hörte:
»Entschuldigung, Sir, aber Ihr Schild hängt nicht draußen.«
»Oh … schon gut.«
»Möchten Sie frische Handtücher?«
»Augenblick, ich komme gerade aus der Dusche. Ich muß mir rasch was anziehen.«
Daß wir Handtücher wollten, war nur natürlich.
Ich nahm meine Pistole in die linke Hand, entriegelte die Tür und öffnete sie einen Spalt. Die Waffe blieb auf den Spalt gerichtet; falls jemand versuchte, das schwarze Zimmermädchen wegzustoßen, um hier einzudringen,
war er so gut wie erledigt.
Ich öffnete die Tür etwas weiter, stellte meinen Fuß dagegen und sah durch den Spalt nach draußen. »Oh, hi«, sagte ich lächelnd. Hinter der Tür blieb meine Pistole auf sie gerichtet. Ich streckte meine rechte Hand nicht durch den Türspalt, weil ich nicht wollte, daß jemand sie von der Seite packte. Statt dessen hob ich sie nur und sagte:
»Die anderen leg ich später raus. Wir brauchen nur zwei 263
Badetücher, die reichen … und haben Sie noch etwas Shampoo?«
Sie gab mir, was ich verlangte. Ich bedankte mich, und sie erwiderte mein Lächeln. Ich schloß die Tür.
Kelly lag mit offenem Mund im Bett und beobachtete sprachlos und verblüfft jede meiner Bewegungen.
Ich zuckte mit den Schultern. »Ärgerst du dich nicht auch, wenn Leute so was machen?«
Sie begann zu lachen, und ich stimmte
Weitere Kostenlose Bücher