Nick Stone - 01 - Ferngesteuert
dem Versuch, eine Polizeistation zu überfallen, in Loughall im County Armagh in einen Hinterhalt des Regiments. Von den rund tausend Aktivisten des Jahres 1980 war die PIRA bereits auf weniger als zweihundertfünfzig Mann geschrumpft, von denen nur etwa fünfzig wirkliche Kämpfer waren. Unser Erfolg in Loughall hatte ihre Zahl um ein Fünftel auf vierzig zusammenschrumpfen lassen. Hielten die Verluste in dieser Höhe an, würde die gesamte PIRA bald in ein einziges Taxi passen.
Auf die vernichtende Niederlage von Loughall folgte wenig später Gerry Adams’ katastrophales Abschneiden bei den britischen Parlamentswahlen. Der Stimmenanteil von Sinn Fein ging dramatisch zurück, weil die Katholiken lieber die gemäßigte SDLP wählten. Und während Sinn Fein in Dublin ihren Parteitag abhielt, brachte der französische Zoll am 31. Oktober vor der Bretagne den kleinen Frachter Eksund auf. An Bord befand sich ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk von Gaddhafi an die PIRA: Hunderte von AK-47-
Sturmgewehren, tonnenweise Semtex-Plastiksprengstoff, mehrere Fla-Raketen und soviel Munition, daß es an ein Wunder grenzte, daß das Schiff überhaupt noch schwimmfähig war.
Damit war die Demütigung der PIRA vollständig. Verständlicherweise dürsteten Gerry Adams und die PIRA nun nach Rache und wollten einen PR-Coup landen, der Leuten wie Gaddhafi und den Amerikanern irischer Abstammung, die für Noraid spendeten, ihre ungebrochene Kampfkraft demonstrieren sollte.
Am 8. November detonierte ein am Kriegerdenkmal in Enniskillen im County Fermanagh angebrachter fünfzehn Kilo schwerer Sprengsatz mit Zeitzünder. Dieser Anschlag bei einer Gedenkfeier für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs forderte elf Tote und über sechzig Schwerverletzte. Die gesamte Welt äußerte augenblicklich Empörung über diese Greueltat. In Dublin standen Tausende von Menschen Schlange, um sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. Sogar in Moskau, das sonst nicht für die Verurteilung vermeintlicher Freiheitskämpfer bekannt war, geißelte die Nachrichtenagentur TASS diese »barbarischen Morde«.
Am schlimmsten für die PIRA war jedoch, daß selbst die Amerikaner irischer Abstammung offenbar endgültig genug hatten. Die PIRA hatte einen entscheidenden Fehler gemacht. Sie hatte geglaubt, der Bombenanschlag werde als Sieg in ihrem Kampf gegen eine Besatzungsmacht bejubelt werden, aber tatsächlich hatte er nur gezeigt, was diese Leute in Wirklichkeit waren. Mordanschläge auf »legitime« Ziele wie Richter, Polizeibeamte und Angehörige der Sicherheitskräfte mochten noch angehen - aber die Ermordung schuldloser Zivilisten bei einer Gedenkfeier für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs?
Deshalb war mir der in Gibraltar geplante Anschlag so rätselhaft gewesen. Ich hatte erkannt, daß Gerry Adams & Co. verzweifelt bemüht waren, ihrer abnehmenden Zahl von Sympathisanten zu demonstrieren, daß sie weiterhin aktiv waren, aber wozu eine Wiederholung der durch Enniskillen ausgelösten internationalen Ächtung riskieren? Einem Bombenanschlag in Gibraltar wären bestimmt nicht nur britische Zivilisten zum Opfer gefallen. Auf den dortigen Straßen und Plätzen waren um diese Jahreszeit Tausende von ausländischen Touristen unterwegs - viele kamen von den Kreuzfahrtschiffen, die regelmäßig Gibraltar anlaufen. Und viele von ihnen waren Amerikaner, wie die PIRA genau wissen mußte. Die Hintergründe dieses wahnwitzigen Anschlags hatte ich nie begriffen.
Plötzlich wurde mir klar, daß wir diese Sache vielleicht aus der falschen Perspektive gesehen hatten. Die PIRA-Leute waren Terroristen, aber ihre Anwesenheit hier in Washington bewies, daß sie auch Geschäftsleute waren. In Gelddingen gab es keine weltanschaulichen Differenzen, nur Raffgier und gewöhnliches Konkurrenzdenken. Ich wußte, daß sie regelmäßig mit protestantischen Aktivisten zusammenkamen, um über Einnahmequellen wie Drogenhandel, Prostitution und Erpressung zu sprechen und sogar Demarkationslinien für Taxiunternehmen und Spielsalons in Ulster festzulegen. Sie verfügten über die Infrastruktur, die Kenntnisse und die Waffen, um im Bereich der organisierten Kriminalität eine Hauptrolle zu spielen. In Zusammenarbeit mit Terrororganisationen in aller Welt ergaben sich daraus vielfältige Möglichkeiten. Traf meine Vermutung zu, war das eine schlimme Sache.
Unten auf dem Parkplatz nahm das Paar von vorhin mit einer letzten langen Umarmung voneinander Abschied. Auch das war vermutlich eine
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