Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
da?«
»Nein, er ist nicht da«, fauchte sie. »Er ist im Coins. Wer sind Sie?«
»Bloß ein Freund. Coins, haben Sie gesagt?«
»Ja.«
»Was ist das, ein Geschäft oder ...«
»Nein, das Café an der Ledbury Road.«
Ich war offenbar dumm, weil ich das nicht wusste. »Okay, vielen .«
Am anderen Ende wurde der Hörer auf die Gabel geknallt.
Von der Auskunft erfuhr ich, dass das Coins in Notting Hill in der Talbot Road lag. Ich zog meine blitzsaubere dunkelblaue Daunenjacke an, nahm meine Geldtasche mit und stieg in ein Taxi, um zu Toms Stammkneipe zu fahren. Unterwegs lieh ich mir den Stadtplan des Taxifahrers, um festzustellen, wo Tom genau wohnte. Der Himmel hing voller dunkler Wolken, aber ich war trotzdem gut gelaunt.
Ich kannte Notting Hill überhaupt nicht, sondern wusste nur, dass dort alljährlich ein Jahrmarkt stattfand, und erinnerte mich an die Aufregung, als dort ein Film mit Julia Roberts gedreht worden war. Damals hatten die Zeitungen die dörfliche Atmosphäre von Notting Hill geschildert und darüber berichtet, wie wunderbar es sei, dort zu wohnen. Jetzt sah ich nicht viel Dörfliches, sondern nur teure Boutiquen von der Art, die ein von Scheinwerfern angestrahltes Paar Schuhe im
Schaufenster haben, ein paar Antiquitätengeschäfte und einen Oxfam-Laden.
Wir bogen um mehrere Ecken und fuhren an vornehmen Altbauten vorbei, die fast alle in Wohnungen unterteilt und so heruntergekommen waren, dass der Verputz von ihren Fassaden bröckelte.
Das Taxi hielt an einer Kreuzung, und der Fahrer öffnete das Schiebefenster. »Das hier ist ’ne Einbahnstraße, Kumpel. Wenn’s Ihnen recht ist, setze ich Sie hier ab. Das Coins ist gleich dort vorn links.«
Über dem Gehsteig sah ich eine große Markise mit Seitenwänden aus durchsichtiger Plastikfolie als Wetterschutz für die Tapferen, die ihren Cappuccino unbedingt im Freien genießen wollten.
Ich bezahlte und machte einen kleinen Spaziergang. Das Coins erwies sich als Eckcafé mit einigen leeren Tischen auf dem Gehsteig. Die großen Fenster auf beiden Seiten des Eingangs waren von Kochdunst und dem Atem der Gäste beschlagen. Als ich das Café betrat, zeigten der rohe Holzboden und die Resopaltische, dass es sich bemühte, schlicht und unprätentiös zu wirken. Obwohl ich den Bauch noch voll Rührei mit Schinken hatte, waren die aus der offenen Küche dringenden Düfte sehr verlockend.
Tom war nirgends zu sehen, deshalb suchte ich mir einen Tisch in der hintersten Ecke. Auf den Tischen lagen Zeitschriften aus, an den Wänden hingen abstrakte Gemälde und Unmengen von Handzetteln, auf denen alle möglichen künstlerischen Events angekündigt wurden. Die Speisekarte bestand aus einem A 4-Blatt in einer
Plastikhülle und enthielt alles von Cholesterinbomben bis hin zu vegetarischen Würstchen und Salaten. Die Preise unterschieden sich gewaltig vom Dekor; hier machte jemand ein schlichtes, unprätentiöses Vermögen.
Die Gäste schienen im Durchschnitt Ende zwanzig bis Anfang dreißig zu sein und waren so krampfhaft um Individualität bemüht, dass sie wie Klone aussahen. Alle trugen sackartige Cargohosen und ärmellose Westen und mussten endlos lange gebraucht haben, um ihr Haar so zu frisieren, dass es aussah, als kämen sie gerade aus dem Bett. Nicht wenige trugen rechteckige Hornbrillen, die mehr dazu dienten, Aufmerksamkeit zu erregen, als damit zu sehen.
»Hi, Sweetie, was kann ich Ihnen bringen?«, fragte eine amerikanische Stimme über mir, während ich die Speisekarte studierte.
Ich sah auf und bestellte Café au lait und Toast mit Marmelade.
»Kommt sofort, Sweetie.« Als sie sich abwandte, präsentierte sie mir das zweitschönste Gesäß der Welt, das in einer hautengen schwarzen Latexhose steckte. Ich konnte nicht anders: Ich musste ihr bewundernd nachstarren und war befriedigt, als ich andere dabei ertappte, dass sie das ebenfalls taten. Sie musste eine Menge Gäste anlocken; kein Wunder, dass Tom hier Stammgast war.
Ich hatte nichts anderes zu tun, als dazusitzen und die Gespräche anderer Leute mitzuhören. Jeder schien kurz davor zu sein, eine Rolle im Film oder auf der Bühne zu bekommen, aber das hatte einfach noch nicht geklappt, und jeder hatte ein fantastisches Drehbuch, das jetzt von einem wundervollen Mann gelesen wurde, der sich früher eine Wohnung mit Antony Minghella geteilt hatte. Die Leute hörten nur zu reden auf, wenn ihre Handys klingelten, und dann redeten sie noch lauter: »Jambo, Dude! Wie geht’s immer,
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