Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Schneiderpuppe da, während ich an seiner Kleidung zog und zerrte. Ich hatte nicht genug Gefühl in den Händen, um weniger grob zuzupacken, und er fuhr unwillkürlich zusammen, als meine eiskalten Finger sich in das Unterhemd krallten und dabei seine Haut berührten.
Ich zog eine Hand voll Seide unter seinem Sweatshirt hervor, zerrte so heftig daran, dass ich Tom fast hochhob, und machte mich daran, sie abzusäbeln. Ich wollte sicherstellen, dass der Stoff riss, damit einzelne Fäden heraushingen.
Beim letzten Schnitt rutschte die Klinge ab. Tom jaulte auf, als ihre Spitze ihm die Haut ritzte. Dann hockte er da und drückte einen nackten Finger auf den kleinen Schnitt, ohne auf der Schnee zu achten, der sich auf seiner Hand anzusammeln begann!
»Scheiße, Tom, willst du noch mehr auskühlen!«, fuhr ich ihr an.
Er zog sein Sweatshirt herunter, steckte seine Hände wieder in die Taschen und ließ den Kopf hängen.
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»Sorry.«
»Pass auf«, sagte ich, während ich ihm den
Reißverschluss wieder hochzog, »ich habe jetzt ein paar Minuten zu arbeiten. Willst du in dieser Zeit nicht etwas Gymnastik machen, damit dir wieder warm wird?«
»Mir fehlt nichts. Wie lange dauert’s deiner Meinung nach bis zum Zug?«
Ich überhörte seine Frage. »Los, beweg dich ein
bisschen, dann wird dir wärmer!«
Er fing an sich zu bewegen, als aale er sich unter einer Daunendecke, aber dabei war er nur mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt.
»Nein, Tom, du musst aufstehen und dich richtig
bewegen. Komm, wir haben nicht mehr allzu weit, aber wir schaffend nie, wenn du vor Kälte steif bist.« Ich schüttelte ihn kräftig. »Aufstehen, Tom!«
Er rappelte sich widerstrebend auf, während ich ihm den Schnee von seinen Schultern wischte. Der Pelzrand seiner Kapuze umgab sein Gesicht jetzt wie ein weißer Schneekranz.
»Los, mach mit!«
Ich achtete darauf, dass Tom mit dem Rücken zum
Wind dastand. Unsere Hände blieben in den
Jackentaschen, als wir anfingen, Kniebeugen zu machen und dabei mit den Ellbogen zu wedeln wie verrückte Hühner.
Ich hielt meinen Kopf gesenkt, damit der Wind mir nichts anhaben konnte, während ich Tom dazu brachte, sich meinem Tempo anzupassen. »Klasse, Tom, jetzt machst du allein weiter, ich brauche nicht lange.« Ich ließ 624
mich auf die Knie sinken, um vor dem Wind geschützt zu sein.
Nun musste ich wieder die Handschuhe ausziehen, die ich vor mich in den Schnee legte. Ich kauerte mich zusammen, um dem Schneesturm möglichst wenig
Angriffsfläche zu bieten; meine Hände waren so
gefühllos, dass ich die Fäden mit den Zähnen aus dem Fetzen Seide ziehen musste. Sobald ich einen
anständigen Faden hatte – ungefähr zwölf Zentimeter lang –, nahm ich ihn zwischen die Lippen und angelte das nadelgroße Drahtstück aus meinem Handschuh. Dann versuchte ich mit zitternden, vor Kälte starren Fingern, ein Ende des Seidenfadens in der Mitte meiner
Kompassnadel mit einem soliden Doppelknoten
festzuknoten, was mir glücklich beim vierten Anlauf gelang.
Der Animateur neben mir keuchte und grunzte, aber diese Laute klangen ganz zufrieden. »Es hilft, Nick!«, berichtete er strahlend. »Mir ist schon wärmer!«
Ich murmelte mit zusammengebissenen Zähnen etwas
Aufmunterndes, während ich den Faden und das
Drahtstück zwischen meinen Lippen hatte, schüttelte den Schnee von meinen Handschuhen und zog sie rasch
wieder an. Meine Hände waren jetzt so nass, dass sie am Innenfutter klebten.
Nachdem ich versucht hatte, für bessere Durchblutung zu sorgen, indem ich meine Hände einige Zeit aneinander schlug, musste ich die Handschuhe schon wieder
ausziehen. Während ich das freie Ende des Seidenfadens mit meinen Zähnen festhielt, schien ich ewig lange zu 625
brauchen, bis es mir gelang, das Drahtstück mit der einen Hand und den Seidenfetzen mit der anderen zu erfassen.
Nun konnte ich endlich anfangen, mit einem Ende des Drahtstücks in immer gleicher Richtung über die Seide zu reiben. Nach etwa zwei Dutzend Strichen hörte ich auf und überzeugte mich davon, dass der Seidenfaden sich nicht verdreht hatte, was sich auf die Ausrichtung des kleinen Metallstücks auswirken konnte, wenn ich es losließ.
Ich holte meine Taschenlampe heraus, knipste sie an und nahm sie in den Mund. Weiter zusammengekauert, damit Faden und Nadel vor dem Wind geschützt waren, ließ ich das Drahtstückchen los und beobachtete, wie es kreiselte. Es kam jedoch bald zur Ruhe und bewegte sich nur noch leicht
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