Nick Stone - 03 - Verbrannte Spuren
Zähneklappern zu hören, dann murmelte seine Stimme: »Wie denn?«
»Man muss träumen. Stell dir vor, dass morgen um
diese Zeit alles längst vorbei ist. Morgen um diese Zeit sitzt du mit einem Riesenbecher Kaffee und einem
leckeren Hörnchen in der Hand in einem heißen Bad.
Morgen um diese Zeit lachst du über diesen ganzen Scheiß.«
Er stampfte mit seinen Absätzen in den Schnee. »Aber nur, wenn diese Latschen durchhalten.«
»Jammer nicht!«, sagte ich. »Immer noch besser als deine dämlichen Segeltuchschuhe.«
Er begann zu lachen, aber dann wurde ein Husten daraus.
Ich hob den Kopf, sah aber nichts als weiße
Schneemassen, die aus dem Nachthimmel auf uns
herabstürzten. Hätte ich in diesem Augenblick bei dem Geist in der Flasche einen Wunsch gutgehabt, hätte ich mir einen Kompass gewünscht.
Jesus, ein Kompass! Ein Kompass lässt sich aus allen Eisenmetallen herstellen. Die Lösung war ganz einfach, aber ich hatte eine Ewigkeit lang gebraucht, um darauf zu kommen, dass in den Rand der Kapuze von Toms Parka ein dünner Draht eingezogen war.
620
Konnte ich ihn verwenden? Und was musste ich damit tun? Mir kam es vor, als versuchte ich, mich ans Rezept einer besonders komplizierten Torte zu erinnern, die ich vor 20 Jahren backen gelernt hatte.
Ich schloss die Augen, versuchte angestrengt mir den Prozess vorzustellen und dachte daran zurück, wie oft ich mich gelangweilt hatte, wenn es darum gegangen war, mit Bindfaden und dünnem Draht primitive Regendächer zu bauen und Fallen oder Schlingen herzustellen.
Tom wurde ungeduldig. »Komm schon, Nick, mir ist
kalt. Du hast gesagt, dass …« Dabei klammerte er sich an mich wie ein Affenkind an den Rücken seiner Mutter.
Das war gut, denn er musste mich ebenso wärmen, wie ich ihn beruhigen musste.
»Sofort, Kumpel. Gleich geht’s weiter.«
Irgendwo musste etwas in der Speicherbank stecken.
Wir vergessen nie etwas; alles lässt sich zu Tage fördern, wenn man nur auf den richtigen Knopf drückt.
Gefunden! Der Auslöser war die Erinnerung daran,
wie ich eine auf Seide gedruckte Fluchtkarte der
Golfregion mit einer darin steckenden Nadel erhalten hatte.
»Tom, trägst du noch deine seidene Unterwäsche?«
Er schüttelte den Kopf. Mein Herz sank.
»Nö, bloß das Oberteil. Ich wollte, ich hätte auch die Unterhose an, dann wär’s mir vielleicht wärmer. Wann gehen wir endlich? Ich sollte sagen, wenn ich weiter will, Nick, und ich sag’s jetzt.«
»Augenblick noch, Kumpel. Mir ist gerade eine klasse Idee gekommen.«
621
Ich nahm meinen Arm von seinen Schultern. Als ich jetzt aufstand, wurde ich nachdrücklich daran erinnert, wie unbehaglich meine durchnässte Kleidung war. Die Jeans klebten an meinen Beinen, und mein T-Shirt war feucht und klamm.
Ich zog meinen rechten Handschuh aus und behielt ihn zwischen den Zähnen, während ich den Leatherman
herausholte. Nachdem ich die Kombizange geöffnet
hatte, zog ich den Handschuh wieder an, bevor ich mir die Finger erfror.
»Sieh mich mal an, Kumpel.«
Die Kapuze hob sich, und der Schnee, der sich darauf angesammelt hatte, fiel auf seine Schultern.
Mit meiner behandschuhten Finken tastete ich den steif gefrorenen Pelzrand von Toms Kapuze nach dem Draht ab, packte ihn mit den Schneidkanten der Zange und drückte fester zu, bis ich spürte, dass ich ihn durchs Gewebe hindurch abgezwickt hatte. Dann drückte ich den Stoff an der Schnittstelle auseinander, bekam das Drahtende mit der Zange zu fassen, zog es heraus und hielt es mit einer Hand fest. Ich zwickte ein fünf Zentimeter langes Drahtstück ab und steckte es in meinen Handschuh, um es sicher aufzubewahren.
Ich hatte angenommen, Tom würde sich dafür
interessieren, was ich machte, aber er konzentrierte sich ganz darauf, zu frieren und sich elend zu fühlen.
Ich bückte mich tiefer zu ihm hinunter. »Ich brauche ein Stück von deinem seidenen Unterhemd, Tom.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich muss es aber nicht ausziehen, stimmt’s?«
622
»Nein, du ziehst nur den Reißverschluss etwas runter, damit ich drankomme. Ich mache so schnell wie
möglich.«
Seine Hände kamen langsam aus den Jackentaschen
und fummelte an dem Reißverschluss herum. Als er nicht damit zu Rande kam, nahm ich beide Handschuhe
zwischen die Zähne, um ihm helfen zu können. Nachdem ich mich mit fast gefühllosen Fingern abgemüht hatte, die Klinge des Leathermans herauszuklappen, schob ich eine Hand unter sein Sweatshirt.
Tom saß wie eine
Weitere Kostenlose Bücher