Nick Stone - 06 - Feind ohne Namen
ihm aufschließen. Ich wusste, wohin er unterwegs war.
Ich sah in meinen Rückspiegel. Die Küstenebene lag jetzt tief unter uns. Die Straße vor uns führte durch Regenwald, der im Scheinwerferlicht zwei geschlossene, vom Regen noch nasse grüne Wälle bildete, während ich abgefallenen Palmwedeln und mit Wasser gefüllten
Schlaglöchern auswich.
Fünfhundert Meter weiter passierten wir unseren
Markierungspunkt: eine große steinerne Buddhastatue oberhalb einer Kreuzung mit einer kaum befestigten Forststraße, die steil in den Wald hinunterführte.
Vielleicht war dies eine Art Unfallschwerpunkt, und der Buddha war hier als Glücksbringer aufgestellt worden.
Suzy tippte mir mit einer Hand in einem roten
Gummihandschuh auf den Arm und zeigte auf die Statue, um sicherzugehen, dass ich sie gesehen hatte. Dann spürte ich, wie ihr linker Arm mich umschlang, während ihre rechte Hand sich in die zwischen uns eingeklemmte Umhängetasche schob. Einige Sekunden später wanderte der Revolverlauf über meinen Rücken nach oben.
Wir hatten die für den Überfall ausgesuchte Stelle schon beinahe erreicht: eine schmale, leicht versetzte Kreuzung, an der die Zielperson würde bremsen müssen, um einen Bach zu durchqueren, der mitten über die Kreuzung floss. Das war der Punkt, an dem wir
zuschlagen würden: Wozu eine Zielperson in einen
Hinterhalt locken, wenn man eine häufig befahrene Route nutzen kann? Unser Mann würde fast zum Stillstand kommen müssen, bevor er den Wasserlauf durchfahren konnte.
Unser Abstand zu dem Lite Ace betrug jetzt weniger als fünfzig Meter. Mit ihrem Revolver in der Rechten schob Suzy die linke Hand unter meinen Hintern und war nun bereit, vom Sitz abzuspringen.
Die Bremsleuchten flammten auf und flackerten, als unser Mann vor der Kreuzung bremste. Er würde nach rechts lenken, den Bach durchqueren und die Räder dann sofort wieder scharf links einschlagen müssen.
Ich konnte Zigarettenrauch riechen, als ich von rechts an den Kleinbus heranfuhr. Das Motorrad schwankte leicht, als ich auf Höhe der Hecktür bremste. Suzy sprang hinter mir ab, und ich fuhr weiter.
Aus dem Lite Ace ertönte ein Schrei.
Ich gab Gas, um mich vor ihn zu setzen und die Straße zu blockieren, aber unser Mann dachte nicht daran anzuhalten. Der Kleinbus krachte gegen mein Vorderrad, und ich rollte mich zusammen, um den Sturz abzufangen.
Meine rechte Hüfte prallte auf den Asphalt, dann
schlitterte ich vor dem Motorrad her über den Asphalt, bis wir im Bach landeten.
Ich rappelte mich auf, riss mir dabei den Sturzhelm vom Kopf und sah gerade noch, wie der Kleinbus mit himmelwärts zeigenden Scheinwerfern rückwärts den Berg hinunterrollte. Suzy rannte hinterher. Ich setzte mich hinkend in Bewegung, aber mein Bein wollte mir nicht recht gehorchen. Mir kam es vor, als habe mir jemand die Haut von Hüfte und Oberschenkel
abgeraspelt.
Der Lite Ace rollte weiter rückwärts, und seine
Scheinwerfer zeigten noch steiler gen Himmel, als Suzy durchs Fahrerfenster hineinhechtete. Was zum Teufel ging hier vor?
Fünfzehn Meter weiter bergab prallte der Kleinbus gegen einen Baum und kam zum Stehen. Während Suzys Beine durchs Fahrerfenster verschwanden, wurde die Beifahrertür aufgestoßen, und die Innenbeleuchtung flammte auf. Eine Gestalt sprang aus dem Fahrzeug und verschwand im Regenwald, während zwei Schüsse fielen.
»Welcher? Welcher?«
Suzy krabbelte rückwärts aus dem Autofenster. »Er ist in Deckung!«
»Warte, warte.« Ich schloss zu ihr auf und packte sie am Arm, um zu verhindern, dass sie in den Regenwald stürmte. Der Beifahrer war tot: Sein Kopf war nur noch eine blutige Masse, die schräg auf der blutgetränkten Rückenlehne seines Sitzes lag. lch atmete tief durch und sagte dann: »Pst, still jetzt!«
Vor uns hatten wir sekundären Urwald mit kleinen
Büschen und Pflanzen, die überall dort wuchsen, wo ein Sonnenstrahl durchs Laubdach drang. In diesem
Unterholz kam man vor allem bei Nacht nur schlecht voran. Unser Mann würde nicht einmal die eigene Hand vor Augen erkennen.
Wir hörten nichts; also würden wir die Verfolgung aufnehmen müssen.
Nach dem vierten Schritt in den Dschungel konnte ich Suzy nicht mehr sehen. Ich streckte eine Hand aus, ertastete in rabenschwarzer Nacht ihren Arm und zog sie mit mir auf den mit Laub bedeckten, schlammigen Boden des Regenwalds hinunter. Wir krochen ein paar Meter weiter, wobei wir mit Händen und Knien im Schlamm einsanken, und machten dann eine
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