Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
damals gesehen hatte - in leuchtenden Technicolor- Farben. Schwer zu glauben, dass das alles sechs Jahre zurücklag, und noch schwerer zu glauben, dass es noch so dicht unter der Oberfläche gespeichert sein konnte.
Scheiße, ich dachte, ich hätte diese Sache unter Kontrolle.
Zu spät. Der Videofilm lief ab.
Kevin, dem jemand mit einem Baseballschläger den Schädel zertrümmert hatte, lag auf der Seite auf dem Fußboden. Den Schläger, ein schönes leichtes Ding aus Aluminium, hatte er mir erst bei meinem letzten Besuch vorgeführt. Er hatte die Augenbrauen hochgezogen und gelacht, als er mir erzählte, dass die hiesigen Rednecks sie als »Alabama-Lügendetektoren« bezeichneten.
Dann beugte ich mich über seinen Körper - nur für den Fall, dass er noch atmete. Keine Chance. Sein Gehirn quoll aus dem Schädel, das Gesicht war eingeschlagen. Die Sitzgruppe und der Teppich waren mit Blut getränkt. Sogar an der Fenstertür zur Veranda waren Blutspritzer zu sehen.
Was war mit Marsha und den Kindern? War der Mörder noch im Haus?
Ich brauchte eine seiner Pistolen, eines dieser Scheißdinger, die Kevin im Haus versteckt hatte, damit sie ihnen notfalls Schutz bieten konnten. Er hatte mir einmal alle Verstecke gezeigt: stets außer Reichweite von Kleinkindern, stets geladen und gesichert, stets ein Magazin im Griff und eine Patrone in der Kammer. Wenig später hielt ich eine USP, eine 9-mm-Pistole von Heckler & Koch, in der Hand. Diese Waffe hatte sogar ein Laservisier unter dem Lauf - wohin der rote Punkt zeigte, ging auch der Schuss.
In meinen Augen standen Tränen, als mir wieder der Song im Radio einfiel, irgendwas von Arrowsmith, einer von Marshas Lieblingssongs. Ich blieb an die Tür gelehnt stehen, wartete darauf, dass mein Herzjagen nachließ, und drehte dann den Kopf nach rechts in Richtung Küchentür. Dort hatte ich Marsha und die Kinder zuerst gesucht. Das war der nächste Raum gewesen, von dort war Musik gekommen.
Ich stieß mich von der Wohnzimmertür ab. Meine Caterpillars dröhnten über den nackten Dielenboden, und Arrowsmith lieferte den Soundtrack zu dem Video in meinem Kopf.
Mit schussbereiter Pistole, um abdrücken zu können, sobald ich ein Ziel sah, hatte ich die Tür aufgestoßen und war gleichzeitig seitlich neben den Rahmen getreten. Das Radio war lauter geworden, und die Waschmaschine war gelaufen - die Trommel hatte sich gedreht, war stehen geblieben, hatte sich wieder gedreht.
Ich war vorgetreten und hatte die Tür ganz aufgestoßen. Nichts. Nur ein kleiner, leuchtend roter Lichtpunkt, wo der Laserstrahl die gegenüberliegende Wand traf.
Heute dagegen kein Radio, keine Waschmaschine, kein gar nichts. Aber schon damals war ich mir wie an Bord der Marie Celeste vorgekommen. In der Küche waren Vorbereitungen fürs Abendessen zu sehen. Kevin hatte gesagt, Marsha wolle etwas Besonderes kochen. Der Tisch war schon halb gedeckt.
Ich war langsam durch die Küche gegangen und hatte die Verbindungstür zur Garage abgesperrt. Ich hatte nicht nach oben gehen und dabei riskieren wollen, dass die Jungs hinter mir ins Haus eindrangen.
Dann merkte ich plötzlich, dass ich Homer weiter umklammert hielt, und lockerte meinen Griff. Während wieder Blut in meine Hand schoss, lehnte ich am Ausguss und starrte die Verbindungstür zur Garage an. Das war die Tür, durch die ich hätte gehen sollen, aber ich konnte nicht anders - ich musste erst nach oben gehen.
Ich ging wieder in die Diele hinaus und setzte einen Fuß auf die unterste Stufe, die nicht mehr mit einem Treppenläufer belegt war. Das nackte Holz knarrte unnatürlich laut.
Oben an der Treppe erwartete mich das alte Kinderzimmer der Mädchen. Vor sechs Jahren war es der größte Pocahontas -Tempel der Welt gewesen - mit TShirts und Postern, Bettwäsche und sogar einer Puppe, die irgendetwas von Farben sang, wenn man ihren Bauch drückte. Die Tür war geschlossen, aber diese Tür stellte kein Problem dar.
Links daneben lag der Raum, der früher Kevins und Marshas Schlafzimmer gewesen war. Die Tür stand halb offen.
Mein Herz begann wieder zu jagen, mein Mund war wie ausgetrocknet.
Scheiße, wozu bist du hier raufgekommen? Du hast dir doch vorgenommen, das nie wieder zu tun!
Aber ich war machtlos dagegen. Ich trat vorsichtig näher, als sei die Tür ein gefährliches Raubtier, und nahm wieder den kupfrigen Blutgeschmack auf der Zunge wahr - diesmal so stark, als sei er wirklich da.
Scheiß drauf. Ich kehrte um, wollte zur Treppe
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