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Nick Stone 06 - Feind ohne Namen

Nick Stone 06 - Feind ohne Namen

Titel: Nick Stone 06 - Feind ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andy McNab
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zurückgehen, blieb dann aber stehen und machte mir weis, ich hätte einen Grund, noch zu bleiben.
    Reiß dich zusammen! Du bist hier, um Kelly zu finden.
    Der Videofilm lief weiter. Ich konnte ihn nicht anhalten. Ich sackte auf dem oberen Treppenabsatz zusammen und spähte durch die halb offene Tür, während vor meinem inneren Auge sämtliche beschissenen Details erschienen.
    Erst als ich mich um den Türrahmen geschoben hatte, hatte ich den ersten Blick auf Marsha werfen können.
    Sie hatte vor dem Bett auf dem Fußboden gekniet, die Arme auf der mit ihrem Blut getränkten Tagesdecke ausgebreitet.
    Ich war hineingegangen, hatte mich dazu gezwungen, Marsha zunächst zu ignorieren. Hier war niemand. Als Nächstes nahm ich mir das Bad nebenan vor, und was ich dort sah, zog mir endgültig den Boden unter den Füßen weg.
    Rums, war ich rückwärts gegen die Wand getorkelt und zu Boden gesackt. Blut, überall Blut. Ich hatte es aufs Hemd, an die Hände bekommen; ich hatte in einer Blutlache gehockt, die meinen Hosenboden durchnässt hatte.
    Schluss mit diesem Scheiß! Sieh zu, dass du die Treppe runterkommst ...
    Zu spät. Viel zu spät. Zwischen Badewanne und WC hatte die fünfjährige Aida mit beinahe abgetrenntem Kopf auf den Fliesen gelegen. Nur eine Handbreit Fleisch war noch intakt; die Halswirbel waren fast durchtrennt.
    Erst dann hatte ich Marsha wirklich gesehen. Ihr Kleid war nicht hochgeschoben, aber ihre Strumpfhose war zerfetzt, ihr Slip heruntergerissen. Und jemand hatte ihr das Gleiche angetan wie Aida.
    Nicht einmal Homer konnte mich jetzt noch ablenken. Ich atmete keuchend und wischte mir genau wie damals über die Augen. Empfand denselben ungläubigen Schock, dasselbe niederschmetternde Gefühl, versagt zu haben.
    Was wäre gewesen, wenn du früher angekommen wärst? Hättest du diesen beschissenen Alptraum verhindern oder wenigstens stoppen können?
    Ich musste mich jetzt ausklinken, bevor ich durchdrehte. Ich hatte Jahre gebraucht, um zu lernen, wie man die Zootore geschlossen hielt, und mir keinen Gefallen damit getan, dass ich zugelassen hatte, dass sie sich öffneten.

Ich bekam das Treppengeländer zu fassen, zog mich daran hoch und stieg langsam die Treppe hinunter, um mit Kelly zu reden.

 
9
    An jenem Tag, an dem Kevin mir alle Waffenverstecke gezeigt hatte, hatte er mir für den Fall, dass Scheiße passierte, auch ihr »Versteck« gezeigt, wie er es nannte. Es bestand aus den Kartons, in denen die Elektrogeräte für die Küche geliefert worden waren und die jetzt unter der kleinen Treppe zum Speicher über der Garage, auf dem er Leitern und ähnliches Zeug aufbewahrte, gestapelt waren. Die Mädchen wussten, dass sie sofort dahinter verschwinden mussten, falls Kevin oder Marsha jemals das Wort »Disneyland!« riefen. Dann mussten sie mucksmäuschenstill sein und durften erst wieder herauskommen, wenn Mommy oder Daddy sie holten.
    Unten in der Küche atmete ich tief durch, riss mich zusammen und ging in die Garage hinaus.
    In den neunziger Jahren hätten dort neben Kevins Dienstwagen, einem mit Antennen gespickten Caprice Classic, spielend zwei weitere Autos Platz gehabt. »Eine Scheißkiste«, hatte er immer gejammert. »Aller Luxus der Neunziger, aber ein Motor aus den Sechzigern.«
    In den Halterungen an der Mauer aus Hohlblocksteinen hatten früher die Fahrräder der Mädchen gehangen. Sie waren mit all dem Krempel abtransportiert worden, der sich in Garagen oft ansammelt. Zurückgeblieben waren nur ungefähr ein Dutzend ungebrauchter Umzugskartons, die wir unter der Treppe gestapelt hatten. Daraus hatte Kelly sich ein neues Disneyland gebaut.
    Ich ging auf die Kartons zu, rief dabei halblaut: »Kelly? Ich bin’s, Nick. Bist du da?«
    Als Kevin die Pappkartonhöhle gebaut hatte, hatte er sie mit einigen Puppen, Wasserflaschen und Schokoriegeln ausgestattet. Letztes Mal hatte ich mich ihr auf allen vieren genähert, mit der Pistole tief im Hosenbund. Ich hatte nicht gewollt, dass Kelly die Waffe sah, hatte nicht gewollt, dass sie merkte, dass hier ein großes Drama ablief.
    Ich hatte versucht, sie hervorzulocken, während ich Kevins Kartons beiseite schob und mich langsam bis zur Mauer vorarbeitete.
    Und dort hatte ich sie schließlich gefunden: mit vor Entsetzen weit aufgerissenen Augen,
    zusammengekrümmt dahockend, sich vor und zurück wiegend, die Hände über den Ohren, ihre Augen rot verweint und angeschwollen. Erst viel später hatte ich erfahren, dass sie alles genau gesehen

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