Nick Stone 06 - Feind ohne Namen
letzte Chance sein, einen Mann zu küssen.«
Wir warteten, bis die Jungen, die lachend und kreischend davonstrampelten, in der Nacht verschwunden waren. Dann lösten wir uns voneinander, während Badezimmer-Billy nach Maureen rief, die ihm ein Handtuch bringen sollte.
Ich trat an die Holztür und spähte durch den Spalt oberhalb der Klinke. Der kleine Garten hinter dem Haus war finster, aber trotzdem konnte ich auf der Rückseite rechts eine Tür und links davon ein Fenster erkennen.
Aus dem Zielobjekt kam weiterhin kein Lebenszeichen. Das konnte bedeuten, dass das Haus tatsächlich unbewohnt war - oder dass die ASU-Mitglieder drüben im Burger-Restaurant waren. Denkbar war aber auch, dass sie sämtliche Fenster schwarz zugeklebt oder ein entbehrungsreiches Dasein auf sich genommen hatten - kein Licht, keine Zigaretten, auch kein Kochen -, während sie dasaßen und auf den richtigen Augenblick zum Angriff warteten.
Ich zog die Tür etwas zu mir her, bevor ich die rostige Klinke herunterdrückte, und übte dann leichten Druck in Gegenrichtung aus. Sie gab nicht mehr als einen Zentimeter nach. Folglich klemmte sie oder war irgendwo verriegelt. Da ich den Druck nicht allzu sehr verstärken und Lärm riskieren wollte, stieß ich den unteren Türrand mit der Stiefelspitze an. Er gab nach. Ich wiederholte diesen Vorgang mit meiner freien Hand am oberen Türrand, der aber nicht nachgab. Ich trat zurück, legte beide Hände auf die Mauer und winkelte das rechte Bein an. Suzy legte ihre gefalteten Hände unter meinen Fuß, und ich zog mich hoch, bis ich mit dem Bauch auf der Mauerkrone lag. Ich beobachtete und horchte. Da alles in Ordnung zu sein schien, ließ ich mich lautlos auf der anderen Seite hinuntergleiten. Meine Füße berührten einen Holzstoß. Ich tastete mich darüber hinweg und stieg auf eine betonierte Fläche hinab, während Maureen zu Badezimmer-Billy hinaufrief, er solle seinen verdammten Hintern runterwuchten, weil der Tee fertig sei.
In der Nähe der Tür stand eine Mülltonne - ohne
Deckel, aber auch ohne Abfälle. Nichts in dem kleinen Garten wies darauf hin, dass hier Leute wohnten. Meine behandschuhten Hände tasteten den Türrand ab, bis meine Finger auf einen kleinen Riegel stießen. Ich zog ihn vorsichtig ruckend auf und öffnete dann die Tür gerade so weit, dass Suzy mit unseren Taschen hindurchschlüpfen konnte. Sie blieb an die Gartenmauer gelehnt stehen, während ich die Holztür wieder schloss und verriegelte.
Im Nachbarhaus rauschte Wasser durchs Abflussrohr: Billy stand offenbar auf Maureens Tee. Suzy blieb vorerst, wo sie war, während ich mich langsam der Rückseite des Zielobjekts näherte. Aus den umliegenden Häusern kam genug Licht, um zu sehen, wohin ich ging, aber meine Augen fingen auch an, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.
Das Fenster links neben der Tür war ein normales zweiflügliges Fenster, das nach außen geöffnet wurde. Der Rahmen bestand aus alter Fichte, und der Anstrich blätterte ab. Das Problem war, dass es mit einem fest angezogenen Chubb-Fensterschloss gesichert war. Um durch das Fenster hineinzukommen, hätten wir die Scheibe einschlagen müssen. Die Hartholztür rechts daneben war ein Sonderangebot aus dem Baumarkt mit Zylinderschloss und Bronzedrücker. Sie führte offenbar in die Küche; durchs Fenster konnte ich eine Spüle mit verchromtem Wasserhahn sehen.
Ich zog die Mini-Maglite aus der Tasche, hielt zwei Finger über die Streuscheibe, um einen ganz schmalen Lichtstrahl zu erzeugen und richtete ihn durchs Fenster.
Die Küche sah aus, als habe sie niemand mehr angerührt, seit Resopal die Erde beherrscht hatte.
Ich trat zwei Schritte nach rechts und ließ mich so auf die Knie nieder, dass mein Kopf sich auf Höhe des Schlüssellochs befand. Im Holz saß ein gewöhnliches Zylinderschloss. Ich legte ein Ohr daran und öffnete den Mund, um ohne Nebengeräusche horchen zu können. Aus dem Haus drang kein Laut. Ich konnte weiter das Rauschen des Verkehrs auf der Hauptstraße und manchmal lauter werdende Stimmen aus den Fernsehern der Nachbarschaft hören. Ich leuchtete mit der Maglite ins Schloss. Es hatte vier Stifte, aber innen steckte leider kein Schlüssel. Das hätte die ganze Sache erleichtert: Ich hätte ihn einfach mit einem der Winkelhaken aus dem Einbrecherwerkzeug gedreht. Für den Fall, dass die Tür überhaupt nicht abgesperrt war, drückte ich die Klinke langsam nach unten. Die Tür war abgesperrt. Ich probierte die untere Türkante aus
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