Nicodemus
verfasst hatte. Er sah sich verstohlen nach seinem Beutel um. Wenn er jetzt den Index zu fassen bekäme, könnte er sein Gedächtnis auffrischen, und vielleicht könnte er sich dann an den Zauber wagen.
Aber das Buch lag ausgebreitet am anderen Ende des Gemeinschaftsraums, keine sieben Fuß vom Golem entfernt.
»Die versprochene Ankunft des Fellwroth«, knurrte Deidre und hob ihr Schwert. »Finsterling, seid Ihr ein unbedeutender Dämon oder einfach nur Taifons Schoßhündchen?«
Das Wesen lachte leise in sich hinein. »Ihr wisst sehr gut, was ich bin, und auch, dass ich Taifon vor mehr als einem Jahr in Eurem Land erschlage habe. Lasst uns also die Schmeicheleien überspringen und direkt zu unserem Tauschhandel kommen. Den Jungen kann ich jetzt nicht mitnehmen. Ich war gerade auf dem Weg in dieses elendige kleine Dorf, und mehr als diesen erbärmlichen Golem hatte ich hier nicht parat. Ich hätte mir gleich denken können, dass Taifon den Jungen noch von jemand anderem bewachen lässt.« Das Rascheln einer Robe, offenbar sah sich das Wesen um. »Wer war das? Das Riesenrindvieh oder sein totes Flittchen?«
»Ich reiß Euch das Herz heraus«, stieß Nicodemus hervor und wollte sich dem Dämon in den Weg stellen.
Doch Deidre erwischte ihn bei der Hand. »Nein, Nicodemus«, zischte sie. »Lauf, wenn du kannst, Nicodemus.«
Der Golem gab ein keuchendes Lachen von sich. »Du hast Mut, Nicodemus. Schön, endlich deinen Namen zu erfahren.« Unter seiner bleichen Kapuze füllte sich die Luft mit feinem Staub. Er wandte sich an Deidre. »Bedeutet das etwa, dass Ihr den Austausch verweigert? So dumm werdet Ihr doch wohl nicht sein.«
»Eure Worte ergeben keinen Sinn, Fellwroth. Bei unserer letzten Begegnung habe ich Euch den Schädel gespalten. Und ich tue es gerne wieder.«
In diesem Moment bemerkte Nicodemus im hinteren Teil des Zimmers ein Schillern im fahlen Mondlicht.
Kyran! Schlich sich der getarnte Druide langsam an den Golem heran?
Das Wesen lachte. »Ihr besitzt mehr Unverfrorenheit als Verstand, mein Mädchen. Überlegt es Euch gut. Ich habe Euren Stein, und mit diesem toten Flittchen hier« – er deutete auf Devin – »könnt Ihr kaum in Starhaven bleiben. Die Wächter werden keine Sekunde zögern, Euch gefangen zu nehmen. Sie werden Euch in irgendeinem Verlies unter einem dieser Türme verotten lassen, und dann pflück ich Euch wie einen reifen Apfel vom Baum.«
Keuchend holte der Golem Luft. »Und wenn Ihr Euch aus den schützenden Mauern Starhavens herauswagt, wo ich zauberschreiben kann, werdet Ihr meine geballte Kraft erleben. Ihr sitzt hier in der Falle, also seid nicht närrisch. Gebt mir den Jungen, und ich werde Euch belohnen.«
Deidre schüttelte den Kopf. »Ihr seid wohl kaum in der Lage, mich zu kaufen. Stattdessen solltet Ihr Euch mehr um Euren eigenen Kopf und Kragen sorgen.«
»Närrin«, schnappte der Golem. »Glaubt Ihr etwa, ich fürchte mich vor Eurer Klinge oder dem Mann, der hinter mir herumkriecht?« Wieder lachte er höhnisch. »Ihr werdet mich …«
»Jetzt!«, schrie Deidre, während sie einen Satz nach vorn machte.
Mit lautem Geheul sprang Kyran aus dem Schatten.
Deidre erreichte das Ungeheuer zuerst, ließ das Schwert auf es niedergehen, traf die Schulter und schlitzte das Gewand von oben bis unten auf. Kyran stach indessen von hinten mit einer unsichtbaren Waffe auf den Golem ein.
Der weiße Stoff fiel in sich zusammen, als sei er nur mit Luft gefüllt gewesen.
Nicodemus stürzte sich auf den Index, doch noch ehe er das Buch aufgehoben hatte, war alles vorüber.
Hustend wedelten die Druiden mit den Händen vorm Gesicht. Ringsum war alles in grauen Dunst gehüllt.
»Er hat die ganze Zeit gewusst, dass er nicht in Gefahr ist«, brachte Kyran unter Husten hervor. »Von diesem Körper hat er sich mit einem Wimpernschlag lösen können.«
Nicodemus trat näher an die Druiden heran, die in eine dicke Staubwolke gehüllt waren.
»Uns bleibt eine Stunde«, sagte Kyran, »vielleicht auch weniger, bis dahin kann sich der Verfasser einen widerstandsfähigeren Körper erschaffen. Lasst uns gehen!«
»Aber was ist mit den anderen Kakographen?«, fragte Nicodemus und drückte den Index noch fester an sich.
»Sie haben nichts zu befürchten«, erwiderte Deidre. »Das Ungeheuer weiß jetzt, wer du bist. Schnell, unser Leben und vielleicht auch das Schicksal der Sprachen steht auf dem Spiel. Sag mir, warum die Wachen vom Speicherturm abgezogen wurden. Erzähl mir einfach
Weitere Kostenlose Bücher