Nicodemus
Traufen und Rinnen von Schnee und Eis befreiten, in dicke Flocken. Pfiff um den Speicherturm und rüttelte an den Papierverkleidungen der Fenster. Simple John – nun John von Starhaven, Zauberer zweiter Klasse – nahm eine der Verkleidungen beiseite und sah in die Nacht hinaus. Beim Gedanken an seine toten Freunde – Devin, Nicodemus und Magister Shannon – schnürte sich ihm die Brust zusammen.
Es klopfte an der Tür, wahrscheinlich einer der jungen Kakographen. John rückte die Verkleidung wieder zurecht und riss sich von seinen traurigen Gedanken los, als neuer Hausvater musste er sich um den Kleinen kümmern.
Der wirbelnde Wind zog vom Speicherturm in die spirischen Ställe und zerrte an Amadis dickem Umhang. Prüfend beobachtete sie die Vorbereitungen ihrer Wächter für die lange Reise zurück nach Norden.
Obgleich Amadi äußerlich ruhig wirkte, war ihr Herz schwer von Angst und bösen Vorahnungen. Colaboris-Zauber hatten die anderen Akademien über Fellwroth und Taifon unterrichtet. Nicht alle glaubten,was sie hörten, doch die Folgen ließen sich nicht verhehlen. Die Prophezeiung spukte nun durch die Köpfe der Zauberer und auf ihren Lippen drängten sich die Spekulationen. Und gerade jetzt musste sie nach Astrophell zurückkehren, wo politische Ränkespiele oft mit tödlichem Ernst verfolgt wurden.
Doch hier im Stall schob Amadi alle Gedanken an Politik und die Prophezeiung so lange beiseite, bis sie jedes Bündel, jeden Sattel und jedes Pferd genau inspiziert hatte. Dann ließ sie die Wächter wegtreten und wanderte alleine über den verschneiten Hof, um die Sterne zu betrachten.
In Astrophell wäre sie keiner Fraktion zu Loyalität verpflichtet. Ganz auf sich allein gestellt, musste sie den internen Kämpfen so gut es ging ausweichen und versuchen, möglichst viele Informationen für Nicodemus und Shannon zusammenzutragen. Mit diesem Verhalten würde sie unweigerlich das Misstrauen aller größeren Gruppierungen auf sich ziehen, der kleinste Fehler konnte tödlich sein.
Amadi lächelte. Nichts lag ihr mehr am Herzen als eine große Aufgabe. Und das hier war zweifellos eine.
Der eisige Wind hatte noch aufgefrischt. Amadi zog den Umhang fester um sich und flüchtete in ihr Bett, um von Astrophell und der heißen Sonne des Nordens zu träumen. Der Wind drängte aus Starhaven hinaus, fegte klirrend kalt über die Gebirgsausläufer. Als er die chthonische Ruinenstadt erreichte, schauten die Geister mit großen, bernsteinfarbenen Augen hinauf in den Himmel. Auch wenn sie die Kälte nicht spürten, erschauderten sie. Sie wussten, dass große Veränderungen bevorstanden.
Und immer weiter eilte der Wind, die Hänge hinab zur Westernmost Road und von dort aus nach Norden in wärmere Gefilde. Allmählich veränderte sich die Landschaft, saftiges Grün löste das Weiß des Schnees ab. Nun wandte sich der Wind nach Westen, blies in Böen über das hohe Savannengras, überquerte eine schmale Karawanenstraße und erklomm einen Gebirgskamm, auf dem ein hoher Wachturm aus Sandstein stand.
Neben der Befestigungsanlage kauerte Deidre, ihre schwarz-roten Flügel flatterten im Wind. Der Weg vor ihr führte fünf Meilenlang schnurstracks geradeaus und traf dann auf die gelbbraunen Stadtmauern einer spirischen Stadt. Selbst im trüben Licht der Sterne konnte sie die vielen Ziegeldächer und das breite achtflächige Kuppeldach des Tempels ausmachen. Langsam erhob sich Deidre. Tränen strömten über ihr Gesicht, Blut rann über ihre Arme. Zu ihren Füßen lagen vier tote Stadtwachen. Taifon hatte sie gezwungen, die Männer umzubringen; er wollte nicht, dass irgendwer die Stadt warnen konnte.
Ein starker Windstoß erwischte sie, fuhr ihr unter die Flügel und hob sie eine Handbreit vom Boden. Unwillkürlich schloss sie die Faust noch fester um den Smaragd von Arahest. Deidre hatte sich durch die hohe Savanne gekämpft und es mit den dortigen wilden Wesen aufgenommen; war Zeugin der unaussprechlichen Dinge gewesen, die Taifon ihnen mit Primus angetan hatte.
Der Wind ließ nach und Deidre sank herab, dann hatte sie wieder festen Boden unter den Stiefeln. Sie lief los. Wieder rannen ihr Tränen über die Wangen. Schon jetzt graute es ihr vor dem, was Taifon sie in der Stadt tun lassen würde.
Durch ihre Verbindung zum Geist des Dämons wusste sie von seiner Arbeit an einem neuen Primuszauber. Deshalb betete sie inständig, dass weder Boann noch Nicodemus oder Shannon je versuchen würden, sie zu retten. Denn
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