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Nie mehr Nacht (German Edition)

Nie mehr Nacht (German Edition)

Titel: Nie mehr Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Bonné
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Englandfähre dann zurückkomme.
    »Lilith wird bis dahin bestimmt auf dem Schiff sein«, sagte sie in schönem Englisch. »Markus, nicht wahr? Freut mich. Ich bin Danielle.«
    Nach Bremerhaven komme sie nicht mit, erwiderte sie auf meine Frage. An Bord würde sie die ganze Zeit bloß heulen, das wolle sie keinem zumuten. Danielle gab mir die von dem Kaffeebecher aufgewärmte Hand. Die wirklichen Omen sind die warmen Hände und warmen Blicke, die dir den Weg gezeigt haben, dachte ich. Ohne Danielle oder die Kellnerin in dem Bistro, ohne Didier und Séverine, Annik, die Juhls, aber auch Kevin und ganz besonders Catinka und Lilith, wo wärst du jetzt ohne sie? Du würdest gekühlt von flüssigem Stickstoff in einem Aluminiumbehälter liegen und wärst mit dem Nachtzug unterwegs zu Ira in die Unterwelt.
    Drei Stunden! Wie im L’Angleterre räumte ich meine Bleibe auf, machte das Bett, lüftete. Eine Viertelstunde lang stand ich mit leeren Händen in dem leeren Zimmer und wartete ab, bis es so kalt darin war, dass mir die Zähne klapperten.
    Ich frühstückte im Bistro. Auch die nette Kellnerin war schon da und half ihrem Patron, die anderen Gäste und mich zu bedienen, den einzigen, der kein Fernfahrer war. Wir unterhielten uns über die Kitty , und sie erzählte, wie oft sie mit ihren Eltern und später ihrem kleinen Sohn die Fähre nach Poole genommen hatte. Heute lebte ihr Junge selbst in England, war selber Vater und hatte zwei Jobs und nur selten Zeit, nach Cherbourg zu kommen.
    »C’est la vie«, sagte sie so, dass es wie »Tel Aviv« klang. »Alles geht mal zu Ende.«
    Ich fragte sie, wo ich am Sonntag einen Zeichenblock und ein paar Stifte kaufen konnte, aber sie schüttelte den Kopf. Für ihre unsichtbaren Enkel hatte sie Malsachen hinter dem Tresen, die überließ sie mir gern.

16
    D ie Kitty war kein kleines Schiff. In der halben Stunde vor ihrer Abfahrt vertrieb ich mir die Zeit und lenkte mich ab von Kälte und grässlicher Nervosität, indem ich mit grad noch unauffällig großen Schritten auf der Pier hin und her lief und ihren Rumpf vermaß. Vom Heck, über dem die Zwillinge der Schornsteine aufragten, bis zum Bug mit dem immer noch aufgeklappten Tor brauchte ich hundertsiebenundvierzig Schritte.
    Früher musste sie sehr schön gewesen sein, geradezu elegant für ein Fährschiff. Supermanche stand riesig und so rot, wie der Traktor war, an ihrer Bordwand. Auf dem überall von Rost angefressenen Rumpf saßen drei Decks und die Brücke mit dem Funk- und Radarmast. Knapp über der Wasserlinie ging das verrostete Weiß in ein seltsam leuchtendes Blau über, in dem auch die Schornsteine lackiert waren und das mich an das Himmelsblau auf so vielen von Alfred Sisleys Gemälden erinnerte.
    Ich stapfte durch den Schnee, der auf der Pier so hoch lag, dass ihn nicht mal der rote Traktor mit seinen Anhängern zu Matsch gefahren hatte. Verlassen stand der Trecker neben der Bordwand und tickte leise, als ich an ihm vorbeiging. Ich fing an zu frieren, und als würde ich mich in mir selber verkriechen, fiel mir die Story von Hemingway ein, die ich im L’Angleterre zuletzt gelesen hatte. Sie handelte von mir. Haben, Nichthaben. Alles haben wollen, nichts bekommen. Nach einem Sturm fuhr ein Wracktaucher allein in seinem Boot auf die Bucht hinaus, begleitet nur von Vögeln, Wolken aus Seevögeln, die über etwas kreisten, was unter Wasser lag. Da lag nur wenige Meter unter der Oberfläche ein gekenterter Passagierdampfer, das größte Schiff, das der Taucher je gesehen hatte. Auf dem Meer war kein Mensch, und der Taucher wusste, alles an Bord gehörte ihm, wenn er es schaffte, in das Schiff hineinzukommen.
    Ich ging die Bordwand entlang, wieder vorbei an dem roten Traktor, der im Schnee stand und so weit abgekühlt war, dass der Motorblock nicht länger tickte. Langsam schritt ich die auf Höhe mit der Pier liegende Bullaugenreihe ab, und ich blickte die Bordwand der Kitty hinauf und sah andere Reihen und noch mehr Reihen alter, trüber Bullaugen.
    Aber er schaffte es nicht.
    Der Wracktaucher hatte nur einen Schraubenschlüssel, und mit dem tauchte er hinunter, ohne dass es ihm gelang, eines der Bullaugen zu zertrümmern.
    Daran dachte ich, als ich sie rufen hörte.
    »Hallo!«, rief sie, »Markus! Hier, hier oben!«, und wirklich, da stand sie, an der Reling des mittleren Decks, und winkte. Etwas Orangegelbes hatte sie auf dem Kopf, aber es war kein Helm, vielleicht eine Wollmütze.
    »Wir legen ab! Gehen Sie zum

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