Nie mehr Nacht (German Edition)
Schwester in der Garage.
Seit Längerem hatte mein Vater vor, die Garage abreißen zu lassen und eine neue zu bauen. Sie sollte an derselben Stelle stehen und sah auf den Plänen genauso wie die alte aus, war es aber nicht. Sie würde einen Zugang zum Haus haben. Und es würde eine Sicherheitsbelüftung geben. Mein Vater zeichnete detaillierte Pläne, wie früher, und sogar einen Rapido, einen Rapidographen schaffte er sich dafür noch einmal an, weil er sein altes Tuschzeichnerset schon vor Jahren mir vermacht hatte.
Seit März schob er das Vorhaben auf. Auch wenn meine Eltern die Garagenandachten ihres Sohnes makaber fanden, wenn sie lieber, wie es sich gehörte, nach Ohlsdorf zum Friedhof spazierten und meinten, Jesse untersagen zu müssen, die Garage zu betreten oder mit seinem Freund Niels Basketball davor zu spielen, so sahen sie mit der Zeit doch ein, dass mich nichts so tröstete wie vor Iras Wand zu sitzen.
Wenn meine Mutter mich fragte, warum ich nicht endlich damit aufhörte, gab ich zurück, dass ich es bleiben ließe, sobald ich darüber weg sei. Aber das stimmte nicht. Ich glaubte keinen Augenblick lang, je über Iras Tod hinwegkommen zu können, und wollte es auch gar nicht.
2
I m Rückspiegel sah ich unten an der Straße meine Mutter stehen und aufgeregt Zeichen geben. Es war nicht zu erkennen, wem ihr Winken galt, wahrscheinlich aber meinem Vater, der in allem der Besonnenere war. Das Licht blendete. Die Konturen meiner Mutter verschwammen darin. Entfernt erinnerten sie an Iras, sodass ich die Augen verengte und mich für ein paar Momente der Illusion überließ.
Jesse reagierte für gewöhnlich nicht auf Kommandos. Seit er in den pubertären Taumel eingetreten war, brauchte er länger als sein Opa, um den Vorgarten zu durchqueren. Meine Mutter schien den Startschuss zum allgemeinen Verabschieden gegeben zu haben, und so ließ sich zwar einigermaßen vorausberechnen, wann auch ihr Mann an der Straße stehen würde, nicht aber, wann ihr Enkel bereit war, zu seinem Onkel in den Wagen zu steigen. Der Onkel war ich, Onkel Markus. Jesse, an dessen Schule jeder Vorname amerikanisiert wurde, nannte mich manchmal Marky Mark. Meine Mutter signalisierte, dass die Straße frei war. Ein letztes Mal starrte ich auf die Wand und die hellblaue Iris des Bullauges darin, dann ließ ich den Motor an. Während ich den Kombi langsam zurücksetzte, sah ich über der Hecke den weißen Haarschopf meines Vaters, wie er sich hinunter zum Fuß der Auffahrt bewegte. Die Herbstsonne stand tief, und ich überlegte, wo ich meine Sonnenbrille gelassen hatte.
Es war Montagmorgen. Ich würde im Studio nicht vor mich hinstricheln müssen. Ich hatte ausgeschlafen, und die Wetteraussichten für die kommende Woche waren nicht schlecht. Ich würde das Meer sehen, hatte einen Auftrag, für den ich genügend Zeit hatte und der gut bezahlt wurde. Es gab eine ganze Reihe von Gründen, weshalb ich annahm, meine Traurigkeit in Schach halten zu können.
Für die Reise mit Jesse, die unsere erste gemeinsame und die erste für ihn seit dem Tod seiner Mutter war, fühlte ich mich daher gewappnet. Und auch mein Vater schien fest entschlossen, seine gute Laune bis weit in den Tag hinein zu retten. Er lächelte mir über die Hecke hinweg zu, formte aus Daumen und Zeigefingern zwei Ringe und setzte sich das imaginäre Brillengestell auf die Nase. Durch das Schiebedach hörte ich meine Mutter, sie rief ihm zu: »Wird Zeit!«
In den Pappelwipfeln hörte man die zwei Wacholderdrosseln schackern, die seit Sommer im Garten nisteten und denen meine Eltern angeblich Namen gegeben hatten, auch wenn Jesse und ich es für nicht sehr wahrscheinlich hielten, dass sie die beiden Vögel wirklich unterscheiden konnten.
Als ich den Wagen am Straßenrand geparkt hatte, kam meine Mutter ans Seitenfenster. Es fuhr hinunter, und sie steckte den Kopf herein, sodass ich kurz dachte, die herbstkühle Luft, das ist sie. Sie nickte in Richtung Hecke. Dort stand auf dem Gehsteig Jesses neuer Rucksack, schwarz und nicht sehr prall gefüllt.
»Ich hab ihm den Koffer gepackt, aber er wollte ihn nicht. Wahrscheinlich wirst du unterwegs Unterwäsche kaufen müssen. Nur damit du dich nicht wunderst.«
Mit schnellen Blicken suchte sie das Wageninnere ab. Auf der Ladefläche über den umgeklappten Rücksitzen lagen die Zeltplane, der Kocher, der Feldstecher, die russischen Gummistiefel. In meiner Sporttasche stapelten sich Bücher, obenauf Der grüne Heinrich . Den
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