Niedersachsen Mafia
»Entschuldigung, aber ich habe noch einen
Termin.«
»Ich will Sie nicht aufhalten.«
»Möchten Sie die Wohnung haben? Dann sollten Sie sich noch heute
entscheiden. Es gibt eine Reihe weiterer Interessenten. Ich kann Ihnen die
Wohnung nicht reservieren.« Erneut begann er, die Einmaligkeit der Räume
herunterzubeten.
»Das ist schön für Sie.«
Er musterte sie mit dem fragenden Dackelblick.
»Ich meine, dass Sie heute Abend noch einen Interessenten haben, dem
Sie die Bude vermieten können.«
»Bude?« Guggenberger war der Zorn deutlich anzusehen.
»Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend«, sagte Frauke, wandte
sich um und verließ ohne ein weiteres Wort die Wohnung. Sind hier alle
verrückt?, fragte sie sich, und automatisch schweiften ihre Gedanken zu den
Mitgliedern ihres Teams ab.
Vor der Tür blieb sie einen Augenblick stehen und atmete die Luft
ein. Hier, inmitten der City, war vom Herbst nichts zu riechen, auch wenn die
Bäume schon das dunkle Laub trugen, das Frauke stets als Vorankündigung auf die
herbstliche Färbung verstand. Entschlossen wandte sie sich nach links, bummelte
gemächlich die Lister Meile entlang und sah zwischendurch in die Schaufenster
des Tabakladens, der Bäckerei, der Buchhandlung und weiterer Geschäfte.
An der nächsten Kreuzung warf sie einen Blick in die Sedanstraße, in
der Simone Bassetti wohnte, den sie in einer aufsehenerregenden Aktion dort
verhaftet hatte. Frauke bog links in die Gretchenstraße ab und betrat nach
wenigen Schritten die Pizzeria, von der Lars von Wedell behauptet hatte, dass
es dort die beste Pizza nördlich der Alpen gebe. Davon hatte der junge
Kommissar nun leider nichts mehr.
Ein paar Stufen führten zum Eingang der Pizzeria Italia. Durch eines
der beiden Fenster war der große Pizzaofen zu sehen. Ein junger Mann wirbelte
gekonnt einen runden Teigfladen in die Höhe, sah dem in der Luft rotierenden
Pizzaboden nach und fing ihn geschickt mit einer Hand wieder auf. Zwischendurch
fand er auch noch Zeit, Frauke zuzulächeln.
Wenn man Italien als Duftnote beschreiben müsste, so war es die
Luft, die ihr entgegenschlug. Der Geruch von Pizza, Wein, Kerzen, überbackenem
Käse … Eine Sinneswahrnehmung al forno.
»Buona sera, signorina«, begrüßte sie der Kellner überschwänglich und machte eine einladende
Handbewegung, verbunden mit einer leichten Verbeugung. Dann geleitete er sie zu
einem Tisch in der Ecke. »Den habe ich extra für Sie frei gehalten«, sagte er
lächelnd.
Frauke empfand den italienischen Charme als wohltuend nach den
verbalen Scharmützeln mit Jakob Putensenf und Guggenberger.
»Darf es etwas zu trinken sein?«, fragte der Kellner.
»Ich hätte gern einen Valpolicella«, antwortete Frauke und sah sich
um. Das Lokal war gut besucht. Sie hatte den letzten freien Tisch erwischt. Es
war ein buntes Publikum. Familien mit Kindern, Paare, drei Frauen, die sich
köstlich zu amüsieren schienen, und eine größere Gruppe, die zwei Tische
zusammengeschoben hatte.
Frauke warf einen Blick in die Karte. Die Pizza war wirklich
hervorragend gewesen. Sie war in Versuchung, die Pizza Pugliese zu bestellen,
zögerte dann aber doch. Das Gericht hatte sie gegessen, als sie hier mit Gesa
Krafft gesessen hatte, um der jungen Frau die Nachricht von Lars von Wedells
Tod zu überbringen. Kurz entschlossen wählte sie Broccoli al forno und nahm
einen großen Schluck von dem Wein zu sich, den der Kellner inzwischen gebracht
hatte.
»Frau Fillipi«, rief sie der Wirtin zu, die sich mit dem Kellner den
Service teilte.
»Ah«, sagte die Frau, die Frauke wiedererkannte. »Sie sind doch die
Polizistin, die nach Simone Bassetti gefragt hatte. Ich habe in der Zeitung
gelesen, dass Sie ihn verhaftet haben.« Sie schüttelte den Kopf. »Schlimm. Wenn
man sich vorstellt, dass so einer bei uns zu Gast war. Aber man kann ja nicht
in die Menschen hineinsehen.«
Von Erzählungen wusste Frauke, dass das Ehepaar Fillipi die Pizzeria
seit mehr als fünfundzwanzig Jahren betrieb. Obwohl Bassetti hier verkehrte,
hatte die Polizei keine Anhaltspunkte dafür finden können, dass die Wirtsleute
in den Fall verstrickt waren.
»Es wäre für uns wichtig zu wissen, ob Bassetti Kontakt zu anderen
Gästen hatte oder sich mit Fremden hier getroffen hat.«
Judith Fillipi musste nicht überlegen. »Bei uns verkehren fast nur
Stammgäste. Manche sind häufiger hier, andere seltener. Laufkundschaft haben
wir fast gar nicht. Unsere Kunden stammen aus der Gegend. Nein!«
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