Niedersachsen Mafia
annahm, dass es die Eilenriede war.
Sie wollte dem Mann auf die Schulter klopfen, dass er sie nun wieder
absetzen konnte, aber der Fahrer machte keine Anstalten, anzuhalten. Immer wenn
sie ihre Hand lösen wollte, gab der Mann Gas und ließ den Motor aufheulen. Es
klang wie eine Warnung. Frauke spürte das Vibrieren der BMW zwischen ihren Schenkeln. Sie befürchtete, rücklings vom
Motorrad zu fallen, wenn sie sich nicht an ihrem Fahrer festklammerte. Ohne
Helm und Schutzkleidung war das lebensgefährlich. Außerdem fror sie jämmerlich.
Der Fahrtwind machte ihr zu schaffen. Daher presste sie sich zwangsläufig eng
an den Rücken des Mannes. Durch den Wind waren ihr Tränen in die Augen
gestiegen. Sie sah nichts mehr, konnte nur im Unterbewusstsein registrieren,
dass sie über einen Wasserlauf fuhren, gleich darauf links abbogen, noch
zweimal die Straße wechselten, zu der parallel die Straßenbahn fuhr, und schließlich
eine Autobahn oder Eisenbahn unterquerten. Kurz darauf bog der Mann in ein
Wohngebiet ab und hielt schließlich in einer ruhigen Wohnstraße. Er winkte noch
einmal Smookie und Thunder zu, die sich mit aufheulendem Motor verabschiedeten,
dann nahm er seinen Helm ab, half Frauke, vom Sozius zu steigen, und bockte die
Maschine auf.
Frauke sah sich um. Das große, repräsentative Haus mit dem Walmdach
stand in einem gepflegten Garten. Entweder leistete sich der Mann einen
Gärtner, oder die Pflege des Anwesens war sein zeitraubendes Hobby. Zur Straße
hin verhinderte eine undurchsichtige Hecke den Blick Neugieriger auf das
Anwesen. Nur gedämpft drangen die Geräusche der Stadt bis hierher. Im Frühjahr
mussten die sorgfältig geschnittenen Rhododendren ein imposantes Farbfeuerwerk
liefern. Jetzt standen Inseln mit blühenden Herbstblumen im Garten und bildeten
Farbtupfer, bei denen die Augen verweilen konnten.
»Wo sind wir hier?«, fragte sie. Die Kälte steckte ihr noch in den
Knochen. Sie hatte Mühe, ihre Gliedmaßen zu bewegen. Die Zähne schlugen
aufeinander, so bibberte sie.
»Sie brauchen erst einmal einen heißen Tee«, sagte der Mann und
lächelte sie an. Sie fand das erste Mal Zeit, ihn genauer zu betrachten. Die
Lederjacke war hochgeschlossen. Der Hals wurde von einem Seidentuch verdeckt.
Unter den kurzen grau-weißen Haaren zeigte sich ein Gesicht, aus dem zwei
dunkelbraune Augen Frauke musterten. Lachfalten hatten neben den Augen ihre
Furchen ins Antlitz gegraben. Der Mund war schmal, das Kinn kantig. Es war das,
was der Volksmund »ein energisches Kinn« nannte. Wangen, Oberlippe und
Halsansatz waren von einem gepflegten Dreitagebart überzogen. Die gesunde
Gesichtsfarbe vervollständigte das Bild von einer attraktiven Erscheinung. Er
hatte seine Handschuhe ausgezogen. Frauke sah auf zwei schlanke, gepflegte
Hände.
Da Frauke immer noch unschlüssig im Vorgarten stand, ergriff er
ihren Arm und zog sie sanft mit sich.
»Ich dulde keinen Widerspruch. Sie brauchen jetzt einen heißen Tee.
So lasse ich Sie nicht gehen.«
Dann führte er sie ins Haus. Der erste Eindruck war überraschend. In
der großzügigen Diele herrschte eine fast gespenstische Ruhe. Auf den
mosaikartig gelegten Fliesen lag ein dicker Teppich. Eine antike Vitrine aus
geschnitztem dunklem Holz beherrschte die Szene. An den Wänden hingen Ölbilder,
die Frauke nicht zuordnen konnte, die aber nicht wie Repliken aussahen. In der
Ecke stand eine mannshohe Holzfigur mit breitrandigem Hut und einem langen
Bart. Sie glaubte, Don Quichotte zu erkennen. An der Decke hing ein gewaltiger
Lüster. Es waren zwiespältige Eindrücke, die Frauke für einen Moment zögern
ließen. Die Einrichtung wirkte düster, pompös, beeindruckend und auf eine
merkwürdige Weise abstoßend und anziehend zugleich. Eine mit dickem Teppich
belegte Treppe mit geschnitztem Handlauf führte nach oben.
Der Mann geleitete sie durch die Diele in einen Raum, der bis oben
hin mit Büchern gefüllt war. Lediglich an einer Wand befand sich ein großer
gemauerter Kamin, um den eine Gruppe schwerer Ohrensessel gruppiert war. Die in
den Garten führenden Terrassentüren waren von dichten dunkelgrünen
Samtvorhängen umgeben. Ein antiker Globus mit historischen Darstellungen,
Frauke schätzte den Durchmesser auf einen guten Meter, bestimmte die
Bibliothek. In einer anderen Ecke stand ein antiker Schreibtisch. Der
gepolsterte, hochlehnige Stuhl harmonierte hervorragend damit.
Frauke trat in den Raum und versank fast im tiefen Teppich.
»Wollen Sie Platz
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