Niedertracht. Alpenkrimi
Weile.
»Haben Sie etwa selbst daran teilgenommen? Damals, in den Achtzigern?«
»Wir waren jung und verliebt. Wir sind hinaufgegangen zur Schneefernerscharte, wir haben gewartet, bis die Touristen weg waren, dann haben wir das Holzbrett über die Klippe gelegt.
Theres’, magst mi?
, habe ich damals gefragt.«
»Sie standen draußen? Über dem Abgrund?«
»Natürlich. Immer der, der draußen steht, fragt. Der andere nickt oder schüttelt den Kopf.«
»Er eilt auf keinen Fall freudestrahlend auf den anderen zu.«
»Das soll es auch gegeben haben. Da wir das im Loisachtal schon seit Jahrhunderten machen, sind die Dummen ausgestorben. Darwin, verstehen Sie.«
»Und wie hat Ihre Theres’ reagiert?«
»Wir haben die Plätze getauscht.
Ja, i mog di scho
, hat sie gesagt.
Aber wie schaugts nachad mit dir aus, Hansl?
Gerade in dem Augenblick ist der raue slowakische Wind, der Jinovec aufgekommen. Das hat irgendwie gepasst. Am besten hat mir aber gefallen, dass ihre Stimme kaum gezittert hat.«
»Die Balz ist hierzulande von derben Sitten begleitet, das muss ich schon sagen.«
»Aber geholfen hat es. Wir sind jetzt fast dreißig Jahre verheiratet. Und immer, wenn ein Streit droht, zeigt einer von uns auf das Brett. Es hängt bei uns im Hausflur.«
»Sind Sie seit Ihrer Jugend noch einmal hinaufgegangen? Ich meine: zum Scharteln?«
»Jeder hat ein paar dunkle Geheimnisse, Chef. Auch ein Polizist.«
Der Chef nickte und humpelte weiter.
Am anderen Ende der Welt, in einem Häuschen am Stadtrand von Nagasaki, stand ein kunstvoll arrangiertes Liliengesteck auf dem Tisch. Es wurde Tee und Fugu-Sushi gereicht, aus den Lautsprechern erklang liebliche Koto-Musik. Das Ehepaar Takahashi war von einer Weltreise zurückgekehrt und hatte das befreundete Ehepaar Ito zu einem Diavortrag eingeladen. Von Kapstadt bis nach Hammerfest waren sie gereist, die Takahashis, und so begann der Diavortrag auch mit schönen Fotos vom Tafelberg und den berühmten Victoriafällen Simbabwes. Herr Takahashi liebte Wasserfälle. Die Hälfte aller Bilder zeigten Wasserfälle. Er zitierte dazu gerne ein Gedicht eines großen Dichters aus der Muramashi-Zeit:
Wasserfälle: Seele.
Ein Bild aber erregte die besondere Aufmerksamkeit des befreundeten Ehepaares Ito. Der Wasserfall war klein, aber er war gut getroffen – die Gischt spritzte nach allen Seiten weg, das Wasser schien zu tanzen, dem Betrachter war so, als stünde er mitten in einer erfrischenden Fontäne.
»Die neue Weitwinkelkamera von Canon!«, sagte Frau Takahashi stolz.
»Und natürlich das neue digitale Bildbearbeitungssystem von Fujitsu!«, sagte Herr Takahashi nicht minder stolz.
»Was bedeutet die Schrift auf dem Schild?«, fragte Herr Ito.
»Welche Schrift?«
»Da, am Rand.«
Herr Takahashi zoomte. Jetzt konnten alle das Schild erkennen:. Nach langem Nachdenken, sorgfältigem Vergleichen mit anderen Bildern und geduldigem Nachschlagen in Wörterbüchern verstand man endlich die Bedeutung der Zeichen. Herr Takahashi machte ein betrübtes Gesicht. Ratlosigkeit bemächtigte sich der bis dahin geselligen Runde. Die gute Stimmung schien zu kippen.
»Müssen wir jetzt etwas unternehmen?«, fragte Frau Ito.
Der Abend schien verdorben zu sein, alle Anwesenden waren kurz davor, ihr Gesicht zu verlieren.
»Darf ich unseren Gästen noch etwas Fugu-Sushi anbieten?«, sagte Frau Takahashi geistesgegenwärtig.
Liebliche Koto-Musik erklang aus den Lautsprechern. Und alle griffen begeistert zu.
Was hatte der Bergsteiger Karl Prusik, der Erfinder des gleichnamigen Klemmknotens für einen Hauptberuf? a) Kunstmaler, b) Balletttänzer, c) Musiker oder d) Lyriker? Johnny Winterholler versuchte sich zu konzentrieren. Er hatte momentan einen guten Stand, der nächste Schritt würde zeigen, ob er diese äußerst schwierige Technik auch wirklich beherrschte. Nach vielen Wochen der Auftragskletterei hing er jetzt endlich einmal nur so zu seiner schieren Gaudi in der Wand. Wie hieß der erste Mann von Toni Buddenbrook? a) Bräunlich, b) Rötlich, c) Grünlich oder d) Bläulich? Er hatte sich allerdings noch nie in einer Verschneidung befunden, deren Wände so glatt waren und exakt senkrecht aufeinander standen.
Die Witwe des amerikanischen Generals Chuck W. Templeton ließ ihr Armeefernrohr sinken und stach mit Schwung in eine Buttercremetorte, die sie von ihrer Lieblingsbäckerei Krusti geholt hatte. Vom Balkon ihrer kleinen Wohnung im österreichischen Ehrwald hatte sie einen perfekten
Weitere Kostenlose Bücher