Niedertracht. Alpenkrimi
auch am K2 oder am Dhaulagiri. Ich zerbrösle den Zucker und streu ihn aus, um Insekten anzulocken. Es dauert nicht lange, und da kommen auch welche. Ich hab sie alle erschlagen, gesammelt und ebenfalls ausgestreut. Nach zwei Tagen ist der erste Vogel dagesessen.«
Blitzschnell fuhr der Arm des Bergsteigerkönigs zum Tisch, packte das halbe Hendl seines Tischnachbarn und riss es hoch.
»So habe ich ihn am Kragen gepackt. Es war ein Weißscheitelspint.«
»Ein Weißscheitelspint? Dann kann es aber nicht am Dhaulagiri gewesen sein.«
»Dann war es halt auf dem Ortler!«
Er biss in das Hendl, dass die Knochen krachten.
»Drei Wochen habe ich jedenfalls so überlebt.«
»Wie schreibt man Dhaulagiri?«, fragte einer der Journalisten am Tisch.
Ein quicklebendiger Kriebelmückenstaat von gut zwanzigtausend Archicnephia flog gut verpackt im Bauch der Iberia-Maschine mit. Die Männchen labten sich am Fleisch eines reifen Feigenkaktus, die Weibchen träumten von prallen Säugetiernacken. Unten konnte man schon das Stadion des FC Barcelona erkennen, doch die beiden Männer waren zu sehr ins Gespräch vertieft, um die Schönheiten des Camp Nou zu bewundern. In den nächsten Tagen würden sie noch genug Gelegenheit haben, die berühmte Sportstätte aus nächster Nähe kennenzulernen.
»Große Unterschiede bei den Nationalitäten gibt es schon«, flüsterte Alois Schratzenstaller dem neben ihm sitzenden Karl Swoboda zu. »Bei den Dänen musst du lang suchen, bis du eine dunkle Stelle findest. Bei den Franzosen steht es ja schon fast in der Zeitung. Du brauchst bloß anzurufen und dir das bestätigen lassen. Aber am meisten haben mich die Deutschen überrascht. Und unter denen vor allem wieder dieser ▇▇▇▇▇.«
»Was du immer bloß mit dem ▇▇▇▇▇ hast! Ich bin viel mehr gespannt, was wir in den nächsten Wochen bei den Rotgelbroten für Überraschungen erleben.«
»Meinst du, wir schaffen das Projekt
Campioni del mondo
bis 2014?«
»Wenn wir in dem Tempo weitermachen, schon. Aber jetzt sag einmal, Schratzi, was hat denn der Bürgermeister für ein Geheimnis?«
»Du musst nicht alles wissen, Swoboda.«
»Doch, ich muss alles wissen. Das ist mein Beruf. Jetzt komm, ich habe dir auch –«
»Also schön. Kennst du Venedig?«
»Natürlich. Auch das hat einmal zu Österreich gehört.«
»In Venedig gibt es die Stadtverordnung, dass die Außenflächen der Gebäude unangetastet bleiben müssen. Innen kannst du machen, was du willst, außen hat man in Venedig immer den Eindruck, dass gleich der Casanova oder einer der Dogen um die Ecke biegt.«
»Hab ichs mir doch gedacht. Unser Bürgermeister will also wieder zurück in die Zeit von Casanova?«
»So weit zurück nun auch wieder nicht. Als ich mich von seiner Frau verabschiedet habe, bin ich hingeschlichen. Nach einiger Zeit kommt ein Araber dazu, der Bürgermeister unterhält sich mit ihm. Erst habe ich tatsächlich gedacht, er will dem Grundstücke anbieten. Aber dann war von einem
Projekt 2036
die Rede. Da gehts, kurz gesagt, darum, dass der Kurort bis dahin rückgebaut werden soll auf den historischen Stand des Olympiajahres 1936.«
»Das ist ja charmant! Also weg mit allen Computerläden, Fastfoodketten und Supermärkten – her mit den ungepflasterten Straßen, Molkereien und Tante-Emma-Läden? Das ist doch ein sehr positives Projekt – das müsste dir eigentlich gefallen, Schratzenstaller.«
»Dass der ganze Kurort ein einziges Museum wird? Ich weiß nicht so recht. Außerdem: Der eigentliche Hammer kommt noch. Das einzige, was modern sein wird, ist ein Hochhaus, das mitten im Ort errichtet wird und aus dem Talkessel herausragt wie der Zeigefinger eines Musterschülers: Welt, schau her! Das Hochhaus soll schmal sein, aber hundertsechsunddreißig Stockwerke in den Himmel ragen. Und da geht es dann hochmodern zu: Fitnessstudios, Fastfoodketten, hochtechnisierte Büros und Forschungslabors, Einkaufszentren, diplomatische Vertretungen – angeblich ist die Hälfte der Etagen jetzt schon vermietet. Der Bürgermeister will das als einzigartiges Umweltschutzprojekt verkaufen. Der Freistaat Bayern sieht keinen Grund, so etwas abzulehnen. Die berühmte Verschmelzung von Weltoffenheit und Konservativem, du weißt schon.«
»Und jetzt lass mich raten: Der einzige Hinderungsgrund –«
»– ist der örtliche Gemeinderat, richtig. Es sind auch schon Morddrohungen gegen diejenigen eingegangen, die ihr Grundstück zur Verfügung stellen wollen. Ich
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