Niedertracht. Alpenkrimi
Täter den Opfern in die Rucksäcke steckt, und das Zeug, das die anhaben, kommt meiner Ansicht nach aus einem Krimskramsladen. Es wäre nämlich viel zu auffällig und zu aufwändig für ihn, auf Flohmärkte zu gehen und das alles zusammenzukaufen. Noch riskanter wäre es, eigene Sachen aus dem Speicher oder Keller zu nehmen. So aber holt er die Requisiten, die er braucht, aus dem eigenen Geschäft, vielleicht einem Secondhandshop oder einem Antiquitätenladen. Auf diese Weise ist es fast unmöglich für uns, den Weg zu den ursprünglichen Besitzern zurückzuverfolgen. Und vor allem: Es ist auch sinnlos. Denn wenn wir wissen, dass die Schuhe vor zwanzig Jahren – sagen wir mal – einer Emma-Maria Melkeimer in Buxtehude gehört haben, bringt uns das in den Ermittlungen überhaupt nicht weiter. Schlaues Kerlchen! Er hat darauf gehofft, dass wir viel Zeit damit verplempern, die Besitzer der Sachen zu eruieren.«
»Und die Kleidungsstücke, die er den Opfern abnimmt? Wirft er die weg? Das ist sehr riskant.«
»Nein, die könnte er sogar wieder in die Gebrauchthandelskette zurückführen, indem er sie einfach im Laden weiterverkauft. Aber so dumm wird er nicht sein. Ich vermute, dass wir im Keller irgendeines Secondhandladens fündig werden.«
Ostler war aufgesprungen und hatte das Branchenbuch geholt. Schnell stellte er fest, dass es im näheren Umkreis genau siebzehn Secondhandshops und Antiquitätenläden gab, und er blickte tatendurstig in die Runde. Doch Jennerwein schüttelte den Kopf.
»Für so eine Aktion bekommen wir nie und nimmer einen Durchsuchungsbefehl. Wir machen es dezenter. Schwattke und Stengele, Sie sind im Ort am wenigsten bekannt, Sie sehen sich mal um in diesen siebzehn Ramschläden. Ich glaube allerdings nicht, dass einer der Besitzer unser Täter ist. Wenn, dann ist es ein Mitarbeiter, der vielleicht nur sporadisch dort arbeitet. Versuchen Sie, so viel wie möglich über die Mitarbeiter der Läden herauszubekommen. Sollte man Sie als Polizisten erkennen, können Sie sich immer noch ganz offiziell eine Liste all derer geben lassen, die in dem Laden arbeiten – oder gearbeitet haben. Ostler und Hölleisen, Sie erkundigen sich bitte auf dem üblichen computergestützten Dienstweg über die Ladenbesitzer: Sind es Einheimische, die Sie kennen? Ist da schon einmal etwas vorgefallen?«
Jennerwein schloss die Besprechung. Endlich kam Bewegung in die Ermittlungen. Sie hatten alle das Gefühl, dass sie auf dem richtigen Weg waren, dass sie den Täter schnappen konnten, bevor eine weitere Leiche in einer Felswand gefunden wurde.
Jennerwein verließ das Revier voller Energie. Er steuerte zielstrebig auf das Auto Marias zu, das auf dem polizeieigenen Parkplatz stand. Der uralte Blechofen war wie immer unverschlossen, er stieg ein und setzte sich auf den Beifahrersitz. Seit er seine Akinetopsie-Anfälle bekommen hatte, war er nicht mehr Auto gefahren. Er hatte Maria gebeten, ihn ins Gästehaus Edelweiß zu bringen, und bald schaukelten sie auch schon gemütlich durch den Ort, in dem es jetzt von Kurgästen wimmelte. Sie wichen zwanzig Kühen aus, die mampfend und muhend durch die kleinen Straßen stapften, sie beugten sich an roten Ampeln hinaus aus den geöffneten Seitenfenstern, um das glasklare Panorama der Berge zu bewundern und auf Gleitschirmflieger dort oben zu deuten.
»Wie wäre es einmal mit einem Tandemflug, Maria?«
Hubertus Jennerwein hätte sich auf die Zunge beißen mögen. Maria schwieg zu dem Vorschlag. Beim Gästehaus Edelweiß angekommen, steuerte Maria in die kleine Parkbucht und stellte den Motor ab.
»Wollen Sie noch mit raufkommen, Maria? Mit dem Versprechen, dass kein dienstliches Wort fällt?«
Jennerwein wandte seinen Kopf nach rechts, um nach der altmodischen Fensterscheibenkurbel zu suchen.
»Aber gerne, wenn Sie eine Flasche – – –«
Maria griff sich ans Gesicht, versuchte sich das klatschnasse Tuch von Mund und Nase wegzureißen, warf auch einen hilfesuchenden Blick zu Jennerwein, der seltsam weggekrümmt auf dem Beifahrersitz saß, sie strampelte noch kurz verzweifelt mit den Beinen, doch es war zu spät, jegliche Spannung wich aus ihrem Körper, sie erschlaffte und sank über dem Lenkrad zusammen. Die Hand mit dem klatschnassen Tuch war allzu blitzschnell vom Rücksitz her aufgetaucht, Maria hatte keine Chance mehr gehabt, sich zu wehren. Jetzt fiel sie in einen traumlosen Schlummer.
Die Pensionswirtin des Gästehauses Edelweiß hatte ihr Zimmer
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