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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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Gemeinderatssitzung so treibt.«
    Schratzenstaller widmete sich wieder seiner Schusterkugel, machte Notizen, zeichnete Punkte, Striche und kryptische Zeichen in die Karte. Swoboda sah ihm lächelnd zu. Ein Fanatiker. Ein Verrückter. Genau solche Leute brauchte man heutzutage. Schließlich drehte sich Schratzenstaller zu ihm um und wies auf die Karte.
    »Vor einer halben Stunde hat er das Rathaus verlassen, gemeinsam mit Toni Harrigl. Sie haben sich getrennt. Der Bürgermeister ist in nordöstliche Richtung gegangen, Toni Harrigl nach Süden.«
    »Der Gemeinderat Toni Harrigl?«
    »Ja, auch auf ihn habe ich ein paar Spione angesetzt. Schon vor längerer Zeit. Das ist eine andere Geschichte, eine eher private. Der Harrigl ist im Moment, wie eigentlich immer, hochgradig erregt, heute sogar äußerst aggressiv.«
    »Und was macht der Bürgermeister?«
    »Der hat zuerst seine Wohnung angesteuert, dort hat er sich zehn Minuten aufgehalten. Auch er ist emotional erregt, aber mit positivem Ausschlag. Das freut die Mückerl besonders. Das gibt ihnen scheinbar genau die Hormone, die sie brauchen. Schau hin, jetzt ist er wieder unterwegs. Er ist am Friedhof vorbeigegangen, geht jetzt den Kramerplateauweg hinauf Richtung Kriegergedächtniskapelle am Grasberg.«
    »Ui jeggerl, der kommt ja direkt auf uns zu!«
    »Ja, er ist ganz in der Nähe.«
    »Komm, den schaun wir uns einmal an.«
     
    Diesmal waren es gleich zwei rüstige eichkätzchenfütternde Rentner, die zum Grasberg hinaufgingen. Und rüstige eichkätzchenfütternde Senioren, die fielen hier im Loisachtal nun wirklich nicht auf. Swoboda hatte die verbundene Hand in die Tasche gesteckt. Beide trugen Ferngläser, und bald entdeckten sie den Bürgermeister, wie er quer durch den Wald ging. Er war allein, er schien in Gedanken versunken, er schlenderte dahin.
    »Das ist euer Bürgermeister?«, sagte Swoboda. »Kann der sich keine bessere Wanderausrüstung leisten?«
    »Vielleicht ist er ja inkognito unterwegs und will nicht erkannt werden.«
    »Geh zu, den kennt doch sicher jeder hier. Auch wenn er sich eine alte Jacke umwirft.«
    Die beiden rüstigen Rentner gingen dem Bürgermeister eine Weile nach, immer in sicherer Entfernung. Auf Höhe der Kapelle verließ das Gemeindeoberhaupt den ausgetretenen Spazierweg. Er blickte sich ein paar Mal um, Swoboda und Schratzenstaller duckten sich rechtzeitig weg, gelernt ist gelernt. Plötzlich sahen sie ihn auf einem Hügel stehen. Doch der Bürgermeister traf sich nicht heimlich mit einer Frau, er verscherbelte auch nicht seine Amtskette, um sie zu klingender Münze zu machen – der Bürgermeister stand einfach nur napoleonisch da und sah ins Tal hinunter, auf seinen Kurort, auf sein Schlachtfeld. Dann nahm er eine klassische Rednerpose ein: Standbein, Spielbein, rechte Hand auf der Brust, linke Hand vorgestreckt in Regnets-heute?-Haltung. Schließlich begann er zu deklamieren, der demokratisch gewählte Bürgermeister, zwar tonlos für die beiden Lauscher, sie spürten jedoch das griechische Versmaß, den sechshebigen Jambus einer großen, staatstragenden Rede.
    »Komm, gehen wir, wir haben genug gesehen«, sagte Schratzenstaller. »Der ist harmlos.«
    »Niemand ist harmlos«, sagte Swoboda. »Jeder hat ein Geheimnis.«
     
    Als sie sich ein paar Schritte entfernt hatten, bebte das Mobiltelefon Swobodas. Er nahm es heraus, warf einen kurzen Blick aufs Display, hob ab und verfiel sofort ins Italienische. Schratzenstaller verstand kein Wort. Ein paar Mal glaubte er die Namen Odore und Manzini zu hören, aber er konnte sich auch täuschen. Swoboda pfiff ein paar Mal überrascht durch die Zähne, machte große Augen. Er legte schließlich auf.
    »Und? Nachrichten aus Italien?«
    »So ist es. Wenn wir mit unseren Versuchen fertig sind, haben wir einen Auftrag. Einen großen Auftrag. Da geht es nicht mehr um den Bürgermeister eines kleinen alpenländischen Kurorts. Da geht es um ganz andere Kaliber.«
    »Wie groß sind die Kaliber?«
    »Gigantisch groß.«

37
    Garmisch, Gasthaus
Zum Raben
. Schreckliche Nacht. Blitze zucken, Gewimmer hinter Mauern, ein herausgeschnittenes Herz auf dem Nachttisch. Gottserbärmliche Schreie im Nebenzimmer. Ich reiße die Tür auf: Jodelunterricht.
    Edgar Allan Poe, Reisetagebücher
    Kommissar Jennerwein verließ das Revier gut gelaunt. Das war eine äußerst interessante Idee gewesen, die die Kommissarin Schwattke da eben in die Diskussionsrunde eingebracht hatte.
    »Das alte Gerümpel, das unser

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