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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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selbst.
    » … immer höher geklettert … oben werden die Äste immer dünner …«
    Jennerwein hatte sie ein Stück zu sich herangezogen, sie nahmen jetzt so etwas wie eine verkrampfte Tango-Position ein, allerdings eine sitzende. Er kniete fast auf Maria, doch sie achtete nicht auf die Schmerzen.
    »Weiter, Maria. Oben werden die Äste immer dünner. Was dann?«
    »Plötzlich brach ein Ast, ich konnte mich nicht mehr halten. Ich war damals noch erheblich … moppeliger.«
    Auf Marias Gesicht erschien, endlich, ein kleines Lächeln.
    » … runtergefallen …«
    Jennerwein drehte die willenlose Maria ganz um, so dass sie mit dem Gesicht an der Wand zu liegen kam. Er machte sich daran, sich selbst zu entkleiden. Er löste die beiden Gürtel von den Hosen und prüfte alle Kleidungsstücke auf ihre Reißfestigkeit. Immer noch eng an Maria gepresst, knotete er alles zusammen und bekam schließlich einen Behelfsgurt von drei Metern Länge zustande. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Das hier waren ihre eigenen Kleider, und er hatte auch keinen Rucksack hier in der Höhle gefunden. Der Täter war von seinem Schema abgewichen. Aber vielleicht hatte er auch zu wenig Zeit gehabt. Jennerwein griff in die Tasche seiner eigenen Hose, er durchsuchte Marias Jeans, in beiden steckte kein Mobiltelefon. Es wäre auch zu schön gewesen.
    »Nicht der Aufschlag unten war das Schlimmste, an den … kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Sondern der Fall …«, brabbelte Maria weiter.
    Jennerwein prüfte die Festigkeit des Behelfsgurts. Er rüttelte am Deckenhaken, der schien bombensicher zu sein. Er hängte seinen Gürtel mit dem Karabiner in den Deckenhaken ein und schob, auf dem Rücken liegend, den Oberkörper vorsichtig und langsam aus der Höhle. Es war merklich kälter hier draußen. Sein erster Blick ging nach oben, eine unwirtliche vegetationslose Steilwand führte direkt in den blauen Himmel – keine Felsverschneidungen, keine Bänder, keine Kamine. Nur glattes Felsgestein. Keine Chance, da wegzukommen. Jennerwein selbst hatte keine Höhenangst, aber er zögerte doch ein wenig, den Blick nach unten zu richten. Maria erzählte drinnen weiter brav ihre Geschichte, ihre Stimme war merklich ruhiger geworden. Sie erzählte von dem herausstehenden Ast, der ihr diese Narbe gerissen hatte.
    »Der Standardtraum von mir!«, rief sie. »Ich hänge an einer Dachrinne, die sich langsam löst. Der zweitliebste Traum: Ich springe aus Spaß auf das Untergestänge eines Flugzeugs. Es startet, ohne dass ich wieder abspringen kann. Nummer drei: Ich fahre mit einer Berggondel, bei der plötzlich der Boden herausbricht. Viertens: Ich gehe bergwandern, ein Paraglider erfasst mich und zieht mich in die Stratosphäre hoch.«
    »Reden Sie weiter, Maria«, rief Jennerwein, als er bemerkte, dass sie eine Pause machte. Sie erzählte weiter. Es beruhigte sie zu erzählen. Jennerwein wandte seinen Blick vorsichtig nach links über die Schulter, ein gigantisches Alpenpanorama breitete sich vor ihm aus. Ein Junitag, ein herrlicher Urlaubstag in den Voralpen. Er versuchte, einige der Berge zuzuordnen. War das dort hinten nicht die Alpspitze? Oder hatte sie der Unbekannte außerhalb des Werdenfelser Landes ausgesetzt? Waren sie über die Grenze gebracht worden? Nach Österreich? Nach Südtirol? Und wann war das geschehen? Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Er wandte den Kopf auf die andere Seite, auch hier schien ihm die Gegend vollkommen unbekannt. Und auch hier dasselbe Bild: glatte, tritt- und grifflose Wände. Jennerwein schnaufte durch und schaute nach unten. Doch was er dort sah, ließ ihm den Atem stocken.

38
    Gol! Gol! Gol! Goooooohoijohojolüdirüeioooooooooooooooooooool!
    Brasilianischer Sportreporter beim 1:0 des FC São Paulo über den CR Vasco da Gama
    »Jetzt fahr halt weiter, du damischer Depp, du belgischer!«
    Polizeiobermeister Johann Ostler saß übelgelaunt im Polizeifahrzeug, und er wäre dem ausländischen Touristen da vorne fast draufgefahren. Ostler war das arme Schweinchen, das heute damit beauftragt war, die ganz normale Tagesarbeit zu tun. Denn auch wenn ein großes Verbrechen geschieht, müssen die kleineren Delikte weiter bearbeitet werden. Klau immer im Schatten eines Mordes, betrüge nur im Kielwasser der Gewalt – sagte schon Cicero, natürlich auf lateinisch, wo es natürlich immer besser klingt.
    Johann Ostler fuhr mit dem Polizeiauto in einer solchen Angelegenheit die Hauptverkehrsader ortsauswärts.

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