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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Maurer
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unverfälschte Natur! Das Kind blieb stehen und sah zu ihm her.
     
    Der Putzi lächelte.

36
    Bist du, Schrei, der glockenhell die Gipfel dort umhüllt,
    nicht eng verwandt dem Schrei des Todesschmerz’s …
    Rainer Maria Rilke, nach einem Jodelkurs
    Blut! Frisches, in einem mächtigen Strahl nach oben schießendes Blut! Hoch spritzte die Gischt der rotglänzenden Fontäne auf, dünne, schlierige, immer wieder abreißende Streifen, längliche, gefaserte Tropfen umrankten den Hauptstrahl und sanken mit ihm zugleich nieder neben dem Einstichloch. Doch gleich mit dem nächsten Pulsstoß gab es ein eruptives Feuerwerk an explodierendem flüssigen Glitzerkram. Der reißende Strom, der lange im Inneren des Körpers gefangen und heiß durch die elastischen Bahnen des Säugers gebrodelt war, schoss nun frei und ungezähmt hoch in die Luft. Die Archicnephia klappte ihren Stechrüssel ein und sprang in die rote, warme Lache. Sie saugte sich voll mit dem süßen Gesöff, das sie so dringend für ihre weitere Entwicklung brauchte. Nachdem sie den gröbsten Durst gestillt hatte, setzte sie ihren Stachel nochmals auf die weiche Nackenhaut. Hätte sie Ohren gehabt zu hören, hätte sie eine weinerliche Stimme vernommen, die aus dem Protokoll der Gemeinderatssitzung vorlas.
    »Wir kommen zum Tagesordnungspunkt dreizehn Strich eff, zum Thema ›Sicherheit in den öffentlichen Anlagen‹. Der Vertreter der örtlichen Polizei, Herr Polizeiobermeister Johann Ostler, hat uns ja schon die Statistiken erläutert –«
    Blut! Herrlich süßes Blut! Ein zweiter Strahl spritzte himmelweit auf. Heute ging es besonders leicht. Wenn später ihre Kameradinnen kamen, mussten mehrere saubere Bohrlöcher fertig sein, ein halbes Dutzend sollte sie schon schaffen. Sie war eine erfahrene Kriebelmücke, eine verdiente Pionierin mit muskulösen Beinen und einem mächtigen Stechborstenbündel, in dessen Inneren noch eine zweite Röhre verlief, mit der sie eine Essenz in die Wunde spritzen konnte, die die Blutgerinnung und Wundheilung hinauszögerte und den Stich durch ein Narkotikum möglichst schmerzfrei machte. Der Wirtssäuger, dessen Nacken sie gerade bearbeitete, war momentan abgelenkt, er achtete nicht darauf, ob er gestochen worden war oder nicht – da ließ es sich leichter arbeiten als bei den nervösen, mit ätherischen Ölen zugeschmierten Exemplaren, die man im Sommer um die Seen herum fand. Dieser energiegeladene Mensch hier war ein ideales Wirtstier. Sie roch seinen hohen sozialen Status.
    »Ich glaube, wir können den TOP 13 eff abschließen«, sagte der Bürgermeister gerade. »Die fehlgeleiteten rechtsradikalen Jugendlichen, die übrigens nicht aus dem Kurort stammen, das möchte ich betonen, sind verhaftet und in die JVA eingeliefert worden.«
    Eine blonde Frau am Rande des Tisches stieß angriffslustige Pheromone aus.
    »Hätte unser Sportstadion nicht so lange ›Ritter-von-Halt-Stadion‹ geheißen«, sprühte sie, »dann wären die Jugendlichen gar nicht auf die Idee mit dem Jahrestag am 5. August gekommen!« Die Archicnephia fuhr ihre Antennen aus und drehte sie in Richtung der Sprecherin. Sie nahm eine dünnhäutige, sensible Ausstrahlung wahr. Zu der würde sie danach noch hinfliegen. Doch im Moment schlürfte sie weiter das Blut des Bürgermeisters.
    »Jedenfalls ist der italienische Kurgast längst wieder wohlbehalten in seiner Heimat angekommen«, sagte der. »Wir hoffen, dass er unsere schöne Gemeinde bald wieder besucht. Die Kurgäste sind unser Kapital. Sie bringen Geld in den Ort. Und im Kurpark herrscht jetzt wieder Ruhe, nicht zuletzt dank der rührigen Mithilfe unseres Gemeindehausmeisters, Herrn Mehl, dem ich hiermit die silberne Ehrennadel des Kurortes verleihen möchte.«
    Während der Hausmeister linkisch vortrat und seine Ehrung entgegennahm, saß Gemeinderat Harrigl auf der anderen Seite des Rathaussaals. Er tat nach außen hin cool, blätterte beiläufig in einem Prospekt, kochte aber vor Wut.
Er
hätte die Ehrennadel verdient, nicht dieser abgewrackte Don Quixote, der sich einbildete, einen millionenschweren Bilderdiebstahl verhindert zu haben.
Er
hatte doch viel mehr geleistet. Er hatte diese Bürgerinitiative auf die Beine gestellt. Harrigl war auf hundert, er stellte in der gegenwärtigen Verfassung eine schlechte Mückenspeise dar. Da war der Bürgermeister schon schmackhafter.
    »Zefix, Sauviecher, narrische«, zischte dieser gerade und schlug mit der flachen Hand auf seinen Nacken. Die Archicnephia

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