Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
also im Anschluss an Heisenbergs Besuch bei Bohr – konnten sie bei ihren Versuchen mit Uranmetall zum ersten Mal überhaupt
die Möglichkeit der Freisetzung von Kernenergie durch die Uranspaltung nachweisen. Sie berichteten darüber am 26. Februar 1942 im Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik in Berlin-Dahlem vor Regierungsvertretern, Generalen, Admiralen und Wissenschaftlern.
Was die Gegenseite angeht, so hatten die Alliierten – aufgeschreckt durch Einsteins Warnung – spätestens Mitte 1940 zwei Kernspaltungsprojekte auf den Weg gebracht, und im Dezember 1942 konnte der erste große Erfolg gefeiert werden. Wie bereits erwähnt, gelang es dem aus Italien geflüchteten Nobelpreisträger Enrico Fermi in Chicago, die Energiefreisetzung durch eine Kettenreaktion in ungeahnte Höhen zu treiben. Bald darauf wurde in den USA eine erste Großanlage zur Gewinnung des Urans errichtet, das für eine Atombombe infrage kam (Uran-235). Noch im selben Jahr 1943 wurde unter der wissenschaftlichen Leitung des amerikanischen Physikers J. Robert Oppenheimer, der Heisenberg aus einem gemeinsamen Seminar zur Quantenmechanik in Göttingen kannte, das Manhattan-Projekt initiiert, mit dessen Hilfe die ersten funktionierenden Atombomben tatsächlich noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs entwickelt wurden.
In ihnen befanden sich nicht die Tonnen von Uran, mit denen Heisenberg und der Uranverein noch Versuche und Berechnungen unternommen hatten. Die Bomben der Alliierten enthielten ungefähr fünfzehn Kilogramm spaltbares Uran-235. Entscheidend für den Mechanismus der Bombe ist die sogenannte kritische Masse, die für Uran etwa bei der angegebenen Menge liegt. Die geplante Explosion kommt durch eine Kettenreaktion zustande, und diese erfolgt, wenn genug Masse da ist. In der ersten Atombombe war das Uran in zwei getrennten Teilen verpackt, wovon jeder für sich »unterkritisch« war, wie es in der Fachsprache heißt. Wenn durch einen Zünder beide Teile vereinigt werden, kommt es als Folge davon nahezu unmittelbar zu einer unkontrollierten Kettenreaktion, die in kürzester Zeit ungeheure Mengen an Energie freisetzt – die Atombombe detoniert blitzartig und zerstört alles um sich herum. »Ich bin der Tod, der alles raubt, Erschütterer der Welten« – nach der ersten erfolgreichen Zündung in der amerikanischen Wüste soll
J. Robert Oppenheimer, der Physiker, der in den Geschichtsbüchern als »Vater der Atombombe« bezeichnet wird, diesen Vers aus der Bhagavad Gita zitiert haben.
Bohr und Heisenberg auf der Bühne
Die Tatsache, dass Bohr und Heisenberg nicht ungestört ihren wissenschaftlichen und philosophischen Debatten nachgehen konnten und aufgrund der Zeitläufte mehr oder weniger unfreiwillig zu politischen Gesprächen zwischen Feinden genötigt wurden, kann nur bedauert werden. Was hätten wir alles von Bohr erfahren und lernen können, wenn die beiden Forscher sich weiterhin persönlich verstanden und um das Verstehen von Natur bemüht hätten! Der beste Bohr, den es gibt, stammt schließlich von Heisenberg. Einige der klassischen Sätze, die mit der Qualität von Aphorismen zirkulieren, um die philosophische Lektion der Atome einprägsam zu formulieren, verdanken wir in dieser Form Heisenberg, der sie aus Bohrs vielsprachigem Nuscheln herausgefiltert hat. So pflegte Bohr in dem Wortlaut Heisenbergs etwa zu sagen: »Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung. Aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wieder eine tiefe Wahrheit sein.« Und er warnte vor einer allzu leichtfertig betriebenen Futurologie mit dem Hinweis: »Prognosen sind gefährlich, vor allem, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.« Auch Bohrs zwar nicht origineller, aber im Rahmen der Quantenmechanik berühmt gewordener Ausspruch, dass wir Menschen immer zugleich Zuschauer und Mitspieler im großen Drama des Lebens sind, findet sich in dieser Klarheit nur bei Heisenberg, ebenso wie Bohrs wunderlich paradoxe Feststellung: »Der Sinn des Lebens besteht darin, dass es keinen Sinn hat zu sagen, dass das Leben keinen Sinn hat.«
Zum Glück hat der englische Schriftsteller Michael Frayn versucht, uns das Gespräch zwischen den beiden durch ein Drama zugänglich zu machen. Das zwei Akte umfassende Stück Kopenhagen wurde im Mai 1998 in London uraufgeführt. Die Historiker – also die
um Objektivität bemühten Wissenschaftler – können aufgrund der dürftigen Quellenlage nicht klären, was die beiden maßgeblichen Physiker ihrer
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