Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Zeit 1941 besprochen haben, als sie zwei Nationen angehörten, die sich im Krieg befanden, und sie die Chance sahen oder die Verpflichtung spürten, ihrem jeweiligen Land zu dienen. Und deshalb schlägt für Frayn an dieser Stelle die Stunde der Literatur. Nur sie kann herauszufinden versuchen, was Bohr und Heisenberg wirklich miteinander besprochen haben, nur die Kunst hat die Freiheit, alle möglichen Konstellationen und denkbaren Argumente durchzuspielen, wie dies im Theaterstück auch passiert.
Frayn betraut Bohr und Heisenberg persönlich mit der Aufgabe, sich selbst zu verstehen. Er lässt sie ihre eigenen Handlungen von einer anderen Welt aus – vom Totenreich her – beobachten (»now we’re all dead and gone«), und es ist klar, dass sie scheitern werden, und zwar allein aus Gründen der Physik. Frayn spielt auf der Bühne mit der Entdeckung, die Heisenberg berühmt gemacht hat und die als Relationen der Unbestimmtheit bezeichnet wird. Sie reklamiert für Atome, was für Menschen vertraut ist. »Die Bahn eines Elektrons entsteht erst dadurch, dass wir sie beobachten«, wie die Physiker seit Heisenberg wissen. Das Leben eines Menschen zeigt sich uns bekanntlich ebenfalls dadurch, dass wir es beobachten.
Ein Wissenschaftler ist ein Beobachter der Dinge, und der Biograph eines Wissenschaftlers beobachtet diesen Beobachter. Er könnte somit – besonders im Fall von Heisenberg – für sich beanspruchen, das Gleiche tun zu dürfen, nämlich zu behaupten, dass es die Lebensbahn des Physikers ohne ihn, den Biographen, gar nicht gäbe, dass sie erst dadurch entstehe, dass er sie verfolgt und beschreibt. Er sollte diesen Aspekt seines Tuns auf jeden Fall im Auge behalten und auch wissen, dass solch ein literarisches Spiel mit Heisenberg (und Bohr) auf wunderbare Weise gespielt werden kann und sollte.
Zum Witz dieses Dramas gehört natürlich die Tatsache, dass die Zuschauer im Theater als Beobachter die Beobachter beobachten, die sich beobachten. Eine einigermaßen hoffnungslos verwickelte, labyrinthische Situation, für die es aber einen eleganten Ausweg
gibt: sich in eine der handelnden Personen zu versetzen. Wer dies tut, versteht besser, was der bislang nur Beobachtete denkt und sagt. Er oder sie bemerkt zugleich, dass es mehr von dem zu verstehen gilt, was die anvisierte Person denkt und sagt. Obwohl Bohrs große moralische Autorität außer Frage steht und Heisenberg auf der Bühne viel Zeit damit aufbringt, sich gegen Vorwürfe zu verteidigen, die weniger seine Person und mehr sein von den Nationalsozialisten beherrschtes Land betreffen, wird der Zuschauer immer neugieriger auf diesen Deutschen, dem Frayn schließlich sogar das Schlusswort überlässt. In ihm darf Heisenberg seine erstaunlichste wissenschaftliche Leistung in Erinnerung bringen und von »that final core of uncertainty at the heart of things« sprechen, von dieser Unbestimmtheit im Herzen der Dinge, die so charakteristisch für das menschliche Leben ist.
Wie gesagt, das Gespräch fand im Herbst 1941 statt. Mitte 1941 hatte sich die Situation der Atomforschung und damit die Einschätzung der Gefahr deutlich verändert. Heisenberg und sein Schüler von Weizsäcker erkannten in diesem Kriegsjahr, dass es unter den Elementen ein weiteres gab, das als Sprengstoff für eine Kernexplosion infrage kam. Eine Atombombe konnte auch mit dem Stoff gebaut werden, der heute als Plutonium-239 bekannt ist und von dem man inzwischen weiß, dass sich von Weizsäcker damit bis zur Patentfähigkeit beschäftigt hat.
Was tun? So lautete mitten im Zweiten Weltkrieg die Frage, und wenn die Zeiten auch nur halbwegs normal gewesen wären, hätte Heisenberg die Antwort gewusst. Sie hätte gelautet: »Nach Kopenhagen fahren und mit Bohr reden.« Das Verrückte ist nun, dass er – gemeinsam mit Carl Friedrich von Weizsäcker – tat, was zwar zunächst selbstverständlich erscheint, was aber auf den zweiten Blick nur Erstaunen und Zweifel hervorrufen kann. Wie konnte Heisenberg überhaupt in das besetzte Kopenhagen reisen? Wer hatte ihn eingeladen? Wer durfte von seiner Einladung wissen? Hatte er einen Auftrag – etwa der Gestapo – annehmen müssen, um sein Ziel – ein Treffen mit Bohr – zu erreichen? Sollte oder musste er gar auskundschaften, was Bohr wusste? Wer hatte ihm überhaupt die Erlaubnis
zur Reise erteilt? Wurde sein Verhalten in Dänemark überwacht? Musste er anschließend einen Bericht verfassen? Wer hat hier wen hintergangen, getäuscht oder
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