Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
gar verraten?
»But why?... Why did he come?« Genau dies ist, von außen gesehen, die entscheidende Frage, und mit ihr beginnt das Theaterstück. Bohrs Frau Margrethe wiederholt sie mehrfach: »Why did he come? What was he going to tell you?« Sie meint, Heisenberg sei als Feind nach Kopenhagen gekommen, denn 1941 galt nahezu jeder Deutsche in Dänemark als Feind. Und was Heisenberg unter Anleitung »des Freiherrn von Weizsäcker«, wie es oftmals mit bösem Unterton heißt, getan hat, kann vom Standpunkt des gesunden Menschenverstands bestenfalls als töricht bezeichnet werden. Ausgerechnet im DWI, von den Dänen als Propagandaeinrichtung verabscheut, organisierte von Weizsäcker einen Vortrag von Heisenberg. Weizsäcker war bereits im März in der dänischen Hauptstadt aufgetaucht und brüskierte den verblüfften Bohr, indem er ohne Vorwarnung an dessen Sekretären vorbeimarschierte und ihm den Leiter des Instituts vorstellte. Von Weizsäcker hätte wissen müssen, dass Bohr sich zwar weiterhin freundlich gegenüber seinen alten Freunden verhielt, aber in der 1941 eingetretenen Situation sämtliche Begegnungen mit Deutschen vermeiden wollte.
Natürlich hat Heisenbergs Besuch eine politische Dimension: Es steht zum Beispiel außer Frage, dass die Gestapo wusste, mit welchen alliierten Wissenschaftlern Bohr in Kontakt stand, und dass sie Heisenberg darüber informiert hatte. Es ist also durchaus möglich, dass er die Erlaubnis, nach Kopenhagen zu fahren, einem Spionageauftrag verdankte und Bohr über den Stand der Forschungen des Feindes aushorchen sollte. Doch wer Heisenberg und seine Verbindung zu Bohr verstehen will, ist wahrscheinlich besser beraen, wenn er die politische Dimension zurücknimmt und dafür die persönliche in den Vordergrund stellt.
Das böse Wort vom »Feind« musste für Heisenberg völlig unbegreiflich sein. Als er nach Kopenhagen fuhr, glaubte er, zwischen zwei Freunden zu stehen, einem Lehrer und einem Schüler. Für Heisenberg waren echte Freundschaften nicht durch das politische
Tagesgeschehen verwundbar, auch wenn es dabei um Krieg und Waffen ging, an deren Entwicklung die Wissenschaft beteiligt sein musste. Heisenberg hielt die Freundschaft mit Bohr für so belastbar, dass er das Gespräch mit ihm riskierte. Er merkte vielleicht nicht einmal, dass er den alten Beziehungen zu großes Gewicht beigemessen hatte. Er merkte nur, dass er allein war, nachdem Bohr ihn verlassen hatte.
Nach 1945 versuchte Heisenberg, sich mit allen möglichen Hinweisen und Wendungen zu verteidigen. Und während er öffentliche Erklärungen abgab, schwieg Bohr. Briefe an Heisenberg, die er entwarf, schickte er nicht ab, er versteckte sie sogar so gut, dass sie erst im Jahr 2000 gefunden wurden. Anfang 2002 veröffentlichte das Niels-Bohr-Archiv diese bislang unveröffentlichten Dokumente auf seiner Homepage, wobei die öffentliche Debatte um das Theaterstück von Frayn als Anlass für diesen Schritt diente. Die neuen Dokumente vermochten jedoch nicht, an der alten Einschätzung der Situation etwas zu ändern beziehungsweise zu einer neuen Bewertung von Heisenbergs Besuch aus dem Jahr 1941 zu bewegen. Bohr räumt in den Briefentwürfen und Notizen zwar ein, dass ein Grund für Heisenbergs Besuch darin bestand, erfahren zu wollen, wie es ihm unter deutscher Besatzung erging (sprich: ob er aufgrund seiner jüdischen Herkunft mütterlicherseits Hilfe brauchte). Aber Bohr betont vor allem, dass Heisenberg und von Weizsäcker sowohl davon überzeugt gewesen seien, dass die Deutschen den Krieg gewinnen würden, als auch dass ein sich länger hinziehender Krieg durch Atomwaffen entschieden würde (wobei Bohr an einer Stelle hinzufügt, dass von Weizsäcker darin eine Chance sah, die Position der deutschen Wissenschaft nach dem Krieg zu stärken).
1941 gab es in Kopenhagen kein Gespräch, wie es sonst zwischen den beiden Freunden üblich war. Sowohl Heisenberg als auch Bohr mussten damit rechnen, überwacht zu werden. Solange sie sich in einem Haus aufhielten, konnte keiner von ihnen offen reden. Zu diesem Zeitpunkt durfte niemand wagen, am Sieg Deutschlands zu zweifeln, wenn er nicht riskieren wollte, in einem KZ zu landen. Vor allem Heisenberg musste sehr vorsichtig sein, da er in seiner Heimat
als Anhänger der »jüdischen Physik« Albert Einsteins schon als »weißer Jude« gebrandmarkt worden war. Daher kann niemand über die entsprechende Passage in den Dokumenten aus Kopenhagen überrascht sein.
Zweifellos
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