Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
muss etwas schiefgegangen sein, als Heisenberg und Bohr versucht haben, wenigstens bei einem Spaziergang im Freien ein offenes Gespräch zu führen. Denn die beiden kehrten nach sehr kurzer Zeit zurück, wobei Bohr nachweislich in höchster Erregung war. Heisenbergs Erwähnung seiner Arbeit an einer Atombombe hatte ihn offenbar entsetzt und verstummen lassen. Es ist durchaus denkbar, dass Heisenberg Bohr vor den Kopf gestoßen hat, indem er direkt auf das Thema zu sprechen kam, das ihn interessierte: die Möglichkeit, Atombomben zu bauen. Heisenberg hatte sich keine andere Strategie für das erhoffte Gespräch zurechtgelegt. Er sprach ein Problem stets direkt an und war nie an strategischen Fragen interessiert gewesen. Wer sich mit Heisenbergs Lebenslauf und seinem Charakter beschäftigt, kann deshalb auch nicht akzeptieren, was Bohr schreibt, dass nämlich Heisenberg über die Dauer des Kriegs nachgedacht und die dabei zunehmende Wahrscheinlichkeit des Einsatzes von Atomwaffen betont habe. So dachte Heisenberg nicht, solche Überlegungen lagen ihm fern.
Das Rätsel, das die Begegnung in Kopenhagen aufgibt und um dessen Ergründung sich das Theaterstück Kopenhagen so bemüht, bleibt auch heute ungelöst. Klar ist nur, dass damals in die Brüche gegangen ist, was die größte Freundschaft in der Geschichte der Wissenschaft hätte werden können. Es wäre für das europäische Geistesleben wohl besser, wenn über das, was Bohr und Heisenberg in den 1920er Jahren zusammengeführt hat, genauso intensiv diskutiert würde wie über das, was sie 1941 auseinanderbrachte. Heisenbergs Texte sprechen hier eine deutliche Sprache, sie bieten die Möglichkeit, das Geheimnis um das Gespräch in eine mögliche Richtung zu lüften. Die Texte zeigen, was für ihn wirklich zählte: die unverwundbare Freundschaft zu Bohr, die er zumindest in Worten bewahren wollte. Diese Harmonie zwischen den beiden Physikern hätte die Menschheit weiterbringen können.
KAPITEL 5
Das Leben wie das Licht
Auch wenn sie tödlich wirken kann, die Kernspaltung verdankt ihren Namen der Wissenschaft vom Leben. Wie wir gehört haben, war es ein bis heute anonym gebliebener Pflanzenphysiologe, der 1939 in der Gruppe um den ungarischen Chemiker George de Hevesy an Bohrs Institut arbeitete und das seiner sich mit der Zellteilung befassenden Forschung entstammende Wort der »Spaltung« für die Zerteilung eines Atomkerns vorgeschlagen und damit diesen Begriff für den Bereich der Physik und die Sphäre des Politischen geöffnet hatte.
Man mag sich vielleicht darüber wundern, was ein Biologe im Haus der Physik am Blegdamsvej zu suchen hatte. Die Antwort findet sich in einer autobiographischen Notiz, in der Niels Bohr sich 1958 ausdrücklich an die zahlreichen interdisziplinären Debatten erinnert, denen er um die Jahrhundertwende als junger Mann beiwohnen durfte. In einer Art wissenschaftlichem Gesprächskreis tauschte sich sein Vater Christian als Physiologe mit dem Philosophen Harald Høffding, dem Philologen Vilhelm Thomsen und dem Physiker Christian Christiansen aus. Bei den gemeinsamen Erörterungen kamen allgemeine fachliche Fragen aus den Blickwinkeln der jeweiligen Fächer zur Sprache. Das Quartett machte sich beispielsweise umfassend Gedanken darüber, ob sich das Leben und seine Besonderheiten nur mithilfe der Einsichten von Chemie und Physik verstehen ließen oder ob das Organische und Vitale über eigene, bislang unerklärliche Eigenschaften verfügten – über etwas geheimnisvoll Vitalistisches, wie der Philosoph Høffding der Runde als Thema vorschlug und selbst infrage stellte.
Die Professoren diskutierten auch immer wieder über die uralte Frage, wie es dem menschlichen Gehirn gelingen kann, neuartige Qualitäten von Geist zu zeigen oder Geistiges zu generieren. Steckt das Psychische schon im Physischen? Erzeugt der Körper den Geist, oder reagiert er mit ihm und entfaltet sich in der Evolution auf ihn zu?
Einheit oder Dualismus?
Beim Zuhören lernte Niels Bohr schon früh die ihn lebenslang beeindruckende Sicht des in Dänemark angesehenen und populären Philosophen Høffding kennen. Dieser betrachtete das Geistige und das Materielle (»mind and matter«) auf der einen Seite als elementare – irreduzible – Dualität, wie sie uns von der ebenfalls unauflösbaren Zweiheit (Dichotomie) von Subjekt und Objekt her bekannt ist. Høffding vertrat aber auch die Ansicht, dass sich »Geist und Körper, Bewusstsein und Gehirn als Ausdrucksformen
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