Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
(›forms of expression‹) ein- und desselben Seins (›being‹) entwickelt haben müssten«, wobei dieses Sein, diese ganzheitlich gedachte Ebene des Wirklichen, außerhalb des Bereichs liege, über den Menschen etwas wissen oder sagen können.
Zwanzig Jahre später sollte Bohr übrigens eine analoge Auffassung von Wolfgang Pauli kennenlernen. Der Physiker beantwortete die Frage nach der Möglichkeit von Erkenntnis damit, dass er den antiken Begriff des Archetypus (der Urform) aufgriff und ihm zwei Formen des Daseins zugestand: eine als physikalisches Gesetz und eine als platonische Idee. Beim Erkennen müssten die physikalische und die psychische Ausformung des Archetypus zur Deckung kommen. Eine wissenschaftliche Einsicht könne nur gelingen, wenn von außen kommende Wahrnehmungen auf im Inneren etwa mithilfe von Nachgrübeln generierte archetypische Bilder treffen, was sich dem Körper, in dem sich dieser Vorgang vollziehe, durch ein Gefühl der Zufriedenheit mitteile. Das romantische Element des Denkens ist bei den erwähnten Konzeptionen nicht zu übersehen, weder in
Paulis Vorschlag noch in Høffdings Umgang mit der Dualität von »Geist und Körper, Bewusstsein und Gehirn als Ausdrucksformen« eines Seins, das die Romantik als Urphänomen bewertet und das Gesetz der Polarität hervorbringt – als Tag und Nacht, Kraft (Energie) und Materie, Bewusstes und Unbewusstes.
Es muss den jungen Niels Bohr mit seinem Vergnügen am Widersprüchlichen und Paradoxen fasziniert haben, wie sich immer wieder zwei Konzepte gegenüberstanden und zwei Meinungen zu dieser Dualität vertreten wurden. Und so ist es nicht verwunderlich, dass diese philosophische Spannung seine Gedanken um die Frage der Erfassbarkeit des Lebens kreisen ließ, zu der in den 1920er Jahren der britische Biologe John Haldane besonders vehemente und pointierte Stellungnahmen abgab. Haldane hatte sich in Vorlesungen über »Die philosophischen Grundlagen der Biologie« gezielt mit den Forschungen von Christian Bohr und der von ihm bearbeiteten Frage beschäftigt, ob sich die experimentell überprüfbare Atmungstätigkeit der Lunge allein als ein physikalischer Vorgang erfassen ließ oder ob zu dem dabei erfolgenden lebensnotwendigen Gasaustausch eine spezifische Aktivität von Zellen im Lungengewebe nötig sei (deren Verständnis etwas anderes als die Gesetze der anorganischen Welt erforderte, die Vater Bohr höchst präzise angeben konnte).
Haldane vertrat – gegen die Ansprüche der Physik – die Ansicht, dass die Biologie über ihren eigenen Charakter verfüge und Atmung deshalb nicht nur physikalisch, sondern auch lebenswissenschaftlich beschrieben und verstanden werden müsste. Dies sei dadurch bedingt und nötig, weil die Tätigkeit der Lungen wie die aller Organe bekanntlich mit Aufgaben – also mit Zwecken – ausgestattet sei, von denen die Physik weder etwas wisse noch etwas wissen wolle; es handele sich dabei um die Zwecke, die dazu dienen, die dazugehörigen Organismen am Leben zu halten. Als bedingungslos an Darwins Gedanken der Evolution orientierter Wissenschaftler definierte Haldane das Leben als die Eigenschaft, die auf die Erhaltung eines Organismus und das Überleben seiner Art angelegt ist. Dadurch machte er die Existenz von Leben zu einer grundlegenden
Tatsache, die sich nicht auf etwas anderes zurückführen lässt und mehr oder weniger einfach nur hinzunehmen ist.
Dieser Anschauung widersprach der damals noch junge Biochemiker Joseph Needham, der später seine englische Heimat verlassen sollte, um in mehrbändigen Werken die chinesischen Wissenschaften und ihre Geschichte zu dokumentieren und zu erkunden, wodurch die Unterschiede zu ihrem europäischen Gegenpart bedingt seien. In den späten 1920er Jahren konzentrierte sich Needham aber noch auf das Biologische und äußerte sich ausführlich zu den jüngsten Entwicklungen seiner Wissenschaft. In dem Beitrag »Recent Developments in the Philosophy of Biology« kritisierte er heftig Haldanes Ansatz. Needham beharrte darauf, dass man die Physik nicht so scharf von der Biologie trennen und vielmehr dafür Sorge tragen sollte, dass sich die beiden Disziplinen ergänzten und gegenseitig befruchteten. Möglicherweise ließen sich die Phänomene des Lebens nicht zuletzt als selektive Verstärkung von individuellen atomaren Vorgängen verstehen, die damals den Naturwissenschaften ihre Geheimnisse zu offenbaren begannen. Vielleicht konnte die neue Physik mit ihren Quantenphänomenen
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