Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
frischen Wind in die etwas erstarrte Biologie bringen, die schon seit Langem mit ihren gewohnten Darstellungen nicht mehr weiterkam.
»Licht und Leben«
An eine solche Möglichkeit dachte auch Niels Bohr, der vor allem in den Jahren nach den entscheidenden Fortschritten in der Theorie der Atome, also nach 1927/28, vermehrt Zeit fand, sich Gedanken über die Erneuerung der Biologie zu machen. Bohr fragte sich, ob und welche Konsequenzen es für die aktuelle Form der Lebenswissenschaften angesichts der erstaunlichen Neuerungen geben müsse, zu denen die Physik gelangt sei. Die gerade erst entworfene, aber bereits brillant funktionierende Quantenmechanik zeigte nicht zuletzt – um eine von Bohr bevorzugte Formulierung zu verwenden –, wie stark unter anderem »die Begrenztheit der mechanischen
Naturbeschreibung« sei; diese müsse vor allem in den Lebenswissenschaften erkundet werden.
Unter »mechanischer Naturbeschreibung« verstand Bohr so etwas wie die Erfassung eines Gegenstands als Maschine, die Energie verbraucht und Arbeit leistet, wie es physikalisch korrekt seit dem
19. Jahrhundert heißt. Die mechanischen, sprich: handwerklichen Teile einer solchen von Ingenieuren ersonnenen und konstruierten Apparatur funktionieren ganz sicher nach den ebenfalls als mechanisch bezeichneten Gesetzen der Physik, was vor allem heißt, dass für jede einzelne Regung oder Bewegung eine wohldefinierte Ursache existiert und das Ganze ein kausal erfassbares Geschehen ergibt, in dem es keinerlei Freiheit gibt, alles eindeutig festliegt und in diesem strengen Sinn abläuft.
Eine der frühen »Belehrungen« (Bohr), die der Physik durch das Auftreten des Quantums zuteilwurden, war die, dass viele Vorgänge in der Natur »nicht mit mechanischen Begriffen erklärt werden« konnten. Dies betraf vor allem die Atome und ihre Stabilität. Damit wies Bohr auf die grundlegende Eigenschaft dieser Urgebilde der Wirklichkeit hin, die sich ebenso wenig einem rein mechanischen Geschehen verdankt wie die Übergänge zwischen den ihnen zugeordneten (»stationären«) Zuständen, die der Welt das Licht liefern.
Mit dieser Beobachtung, der Freude an Analogien und der Überzeugung, dass es bei aller Verschiedenheit der Phänomene eine tiefe archetypische Einheit des wissenschaftlichen Verstehens und Vorgehens gibt, lag zum einen der allgemeine Gedanke nahe, dass die Existenz des Wirkungsquantums bei jeder von Menschen unternommenen Beschreibung der Natur zu berücksichtigen und in eine entsprechende Theorie aufzunehmen sei. Zum anderen bot sich für Bohr der Gedanke an, dass der Biologie damit ein angemessener Zugang zu der »Unerschöpflichkeit der Lebensrätsel« offen stehe oder möglich werde.
Bohrs öffentlich vorgetragene Ansichten zu diesen Themen findet man zum ersten Mal in einer Rede, die er 1929 unter dem Titel »Wirkungsquantum und Naturbeschreibung« vortrug. Noch deutlicher aber treten sie in einem Vortrag zutage, den er am 15. August
1932 bei der Eröffnung eines international besetzten Kongresses für Lichttherapie in Kopenhagen unter der Überschrift »Licht und Leben« hielt.
Darin äußerte sich Bohr kaum über Physik, sondern vornehmlich über Biologie, was ein Novum für ihn war. Aus diesem Grund ist es umso bedauerlicher, dass kein Originalmanuskript der Rede erhalten ist. In der Literatur finden sich mehrere Versionen in verschiedenen Sprachen, die nicht erkennen lassen, was Bohr tatsächlich im Detail angesprochen hat. (In diesem Buch wird die Version zugrunde gelegt, die 1933 auf Deutsch in der Zeitschrift Die Naturwissenschaften erschienen ist. Dieser Text stellt eine von der als Psychologin ausgebildeten und in Berlin lebenden Hertha Kopfermann vorgenommene Übersetzung nicht der dänischen, sondern der englischen Ausgabe dar.) Klar ist nur, dass er sich vorher viele Gedanken zu diesem Themenkomplex gemacht hat – und zwar vor allem in Gesprächen und Briefen mit dem Physiker Pascual Jordan (1902–1980), der mit Werner Heisenberg und Max Born der Quantenmechanik im Jahr 1925 zum ersten Mal ihre neue mathematische Formulierung gegeben hätte. Der bald für den Nationalsozialismus eintretende Jordan, der vor 1933 zu den häufigen Besuchern des Kopenhagener Instituts zählte, drängte im Bereich des Biologischen zum Beispiel darauf, dass die Wahrnehmung von Licht im Auge nur durch physiologische Vorgänge zu verstehen sei, die auf der Ebene der Atome abliefen und zu denen daher selbstverständlich akausale Vorgänge –
Weitere Kostenlose Bücher