Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Physiker hätten sich die Atome vorgenommen und versucht, ihre Stabilität zu verstehen, und dabei die Quantenmechanik geschaffen. Und die künftigen Biologen sollten sich mit den Genen beschäftigen und versuchen, ihre Stabilität vor und nach einer Mutation zu verstehen und dabei eine neue Genetik zustande zu bringen. Dies gelang denn auch bald, der neue Wissenschaftszweig wird seit 1938 als Molekularbiologie bezeichnet.
Auf dem Weg zur Molekularbiologie
Das Wort »Molekularbiologie« ist keinem Wissenschaftler, sondern einem Förderer der Forschung, dem Amerikaner Warren Weaver, zu verdanken, der Mitte der 1930er Jahre mithilfe der Rockefeller-Stiftung und eigenen Ideen den Versuch eingeleitet hat, der damals eher deskriptiven und sammelnden Wissenschaft der Biologie eine exakte – mathematische – Grundlage zu geben und sie in eine Physik des Lebens zu verwandeln. Zu den maßgeblichen Wegbereitern dieser Disziplin gehört Max Delbrück, der unter dem Eindruck von Bohrs Rede die Physik mit der Biologie getauscht hat und 1969 für seine bahnbrechenden Verdienste in der neuen Disziplin mit dem Nobelpreis für Medizin geehrt wurde.
Nachdem der sechsundzwanzigjährige Delbrück Bohrs Hinweise gehört und aufgesogen hatte, standen für ihn zwei Pläne fest, die sich realisieren ließen und ihm den gewünschten Erfolg brachten: Leben mit Licht zu untersuchen und das Wasserstoffatom der Biologie zu finden. Ersteres war seit 1927 möglich. In diesem Jahr hatte der amerikanische Genetiker Hermann Muller (1890–1967) bemerkt, dass Röntgenstrahlen direkten Einfluss auf die als Gene bekannten Atome der Biologie haben, indem sie das Erbmaterial veränderten oder mutierten. Licht zeigte sich also in der Lage, die Grundelemente des Lebens zu treffen und zu beeinflussen. Delbrück wusste auch, wo er diese Forschungsrichtung verfolgen konnte: im Osten seiner Heimatstadt Berlin. Im Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung, im Stadtteil Buch gelegen, gab es eine Genetische Abteilung, an der unter Führung des russischen Genetikers Nicolai Timoféeff-Ressovsky (1900–1981) Fruchtfliegen (Drosophila) mit Strahlen bearbeitet und ihre Mutationen auf Verhaltensänderungen hin analysiert wurden. Es mutet seltsam an, dass Fruchtfliegen an einem Institut für Hirnforschung untersucht wurden, aber auch sie besitzen ein – keineswegs einfach gebautes – zentrales Nervensystem, und Timoféeff-Ressovsky hatte sich vorgenommen, dessen Aufbau und Wirkungsweise über Mutanten, deren Entwicklung gestört war oder falsch ablief, zu studieren.
Timoféeff-Ressovsky war bereit, den jungen Delbrück in seine Forschung mit einzubeziehen, und gemeinsam mit dem Physiker Karl Günther Zimmer (1911–1988) machten sie den Versuch, die Gene, von Röntgenstrahlen getroffen und mutiert – also von einem stabilen Zustand in einen anderen gebracht –, zu verstehen, wobei die Gene sozusagen als Zielscheiben (Targets) von Strahlen verstanden wurden. Wenngleich das ganz große Vorhaben der drei Forscher scheiterte – eine verlässliche Abschätzung für die Größe von Genen vornehmen zu können –, so bleiben doch zwei Schlussfolgerungen bis heute von Interesse. Zum einen erkannte vor allem Delbrück bis 1935, dass man sich »das Gen als einen Atomverband« vorstellen kann, der durch eine Mutation seine alte stabile Form aufgibt und eine neue annimmt. Und zum anderen zeigte sich, dass Gene als »Lebenseinheiten« verstanden werden können, die sich innerhalb einer Zelle befinden und damit noch elementarer als diese Struktur sind. Wenn überhaupt, dann sind die Gene – und nicht die Zellen – die »letzten Lebenseinheiten«; von ihnen aus muss nun der Versuch unternommen werden, ein Verständnis der Organismen zu entwickeln.
Was ist Leben?
Bekanntlich beginnt der eigentliche Aufstieg der Molekularbiologie nach 1945, als nach und nach nicht nur der Stoff erkannt wird, aus dem die Gene bestehen, sondern sich auch seine Struktur zu erkennen gibt, die Doppelhelix aus DNA. Zu dem ungeheuren Schwung der neuen Lebenswissenschaften hat unter anderem das kleine Buch Was ist Leben? von Erwin Schrödinger, dem Vater der Wellenmechanik, beigetragen. Schrödinger hatte sich während des Zweiten Weltkriegs in seinem Exil in Dublin mit dieser Frage befasst und die Ansicht vertreten, dass eine Antwort möglich sei, wenn man die Natur der Gene besser verstehen würde. Für ihn seien Gene kein »plumpes Menschenwerk«, »sondern das feinste Meisterstück, das
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