Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Quantensprünge ohne physikalische Ursache – gehören müssten. Er ging sogar so weit, in den Quantenphänomenen mit ihren Unbestimmtheiten so etwas wie den atomistischen Urgrund für die Willensfreiheit des Menschen zu sehen, was aber bei Bohr nicht auf viel Gegenliebe stieß. Freiheit drückte sich für ihn nicht in einem zufälligen Ereignis, sondern in einem schöpferischen Vorgang aus.
Um die Wirkung von Bohrs »Licht und Leben« zu ermessen, empfiehlt es sich, die Ereignisse im August 1932 in Kopenhagen und die Lektüre der Publikation voneinander zu trennen. Was die unmittelbare – und wundersam weitreichende – Wirkung der gehaltenen Rede angeht, so kommt sie durch einen Zuhörer zustande, der
Bohrs Worte mit höchster Aufmerksamkeit und wachsender innerer Bewegung verfolgte: Max Delbrück (1906–1981). Er hatte zwar wesentlich mit zu dem Kopenhagener Faust beigetragen, konnte sich aber dennoch in der Physik nicht ganz glücklich fühlen – was mit seinem Geburtsjahr erklärt werden kann.
In der Wissenschaftsgeschichte kann man im Fall der Quantenmechanik von einem kulturellen Gegenstück zu der nach 1945 viel zitierten »Gnade der späten Geburt« sprechen, nämlich vom »Fluch der späten Geburt«, der auf allen lastete, die nach 1905 geboren worden waren. Die neue Physik lag in ihren eindrucksvollen Grundzügen um 1925/26 größtenteils fertig vor, und ihre Väter waren entweder schon im 19. Jahrhundert oder spätestens 1901 und 1902 geboren worden (wie Werner Heisenberg und Paul Dirac). Wer wie Delbrück 1906 geboren worden war, der konnte zwar um 1930 noch eine Doktorarbeit schreiben, in der die Quantenmechanik prominent zur Anwendung kam, es war ihm jedoch nicht mehr möglich, mit großen Ideen an einer revolutionären Entwicklung in der Wissenschaft teilzuhaben. Natürlich konnte man sich der Philosophie der neuen Physik und ihrer Atome zuwenden, wie dies etwa der 1912 geborene Carl Friedrich von Weizsäcker unternahm; Delbrück aber wollte kühne Konzepte im Rahmen einer quantitativen Wissenschaft entwickeln, und so sah er sich nach einem anderen Betätigungsfeld als der Physik um.
Delbrücks Chance kam 1932, als er ein paar Monate bei Bohr in Kopenhagen verbrachte und der berühmte dänische Physiker zur allgemeinen Überraschung seiner Kollegen und Freunde die Einladung zu einem Vortrag bei besagtem Kongress für Lichttherapie annahm – in einer Zeit, in der die Konkurrenz in der ganzen Welt alles daransetzte, den Aufbau der Atome und ihrer Kerne zu verstehen, und in der es galt, dem Institut eine neue Richtung zu geben und neue Förderer zuzuführen.
Auch Delbrück zeigte sich zunächst verwundert über Bohrs Bereitschaft, »Licht und Leben« in einer Eröffnungsrede zu verknüpfen. Er beschloss jedoch, sich Bohrs Vortrag anzuhören. Als Bohr seine Überlegungen über »Licht und Leben« vor einem eher gelangweilten
Festpublikum entwickelte, das bald den Faden verloren hatte – wie vielleicht der Vortragende selbst auch – und das Ende der sich im Kreis drehenden Denkbewegungen herbeisehnte, reagierte Delbrück immer nervöser, denn in Bohrs Rede zeigte sich ihm plötzlich der Weg zu einer neuen Wissenschaft, wie er sich ihn erträumt hatte.
In Delbrücks Erinnerung an die sein Leben beeinflussende Rede beschrieb Bohr zunächst, wie die Physik in vielen Fällen experimentell vorgeht, indem sie Licht auf Materie sendet. Das heißt, Forscher schicken erst Strahlen mit hoher Energie auf besonders präparierte Materie und prüfen im Anschluss daran, wie sie abgelenkt und gestreut werden. Dabei hatte Bohrs verehrter Freund Rutherford zum Beispiel 1911 festgestellt, dass es in den Atomen einen Ort geben muss, an dem der größte Teil ihrer Masse sitzt: den Atomkern. Seitdem hat man zwar eine Vorstellung vom Atom, weiß aber zugleich auch, dass die herkömmliche (klassische) Physik das dazugehörige Modell nicht erklären kann. Wer – so Bohr in Delbrücks Darstellung – eine neue Biologie wolle, sei sicher gut beraten, ebenfalls das Wechselspiel von »Licht und Leben« zu erkunden, und zwar so, wie es die Physik mit dem Wechselspiel von »Licht und Materie« getan habe. Das bedeute, dass man sich erst grundlegende Größen des Lebens vornehmen solle – etwa die Gene oder die Sinneswahrnehmung –, um anschließend mit Licht eine grundlegende Eigenschaft von ihnen zu erkunden oder auszutesten – etwa die Möglichkeit zur Mutation oder die Fähigkeit zur Anpassung (Adaptation). Die
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