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Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters

Titel: Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernst Peter Fischer
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wie die Viren die Bakterien nutzten, um sich zu vermehren. Er stellte fest, dass die Viren, die bald Bakterienfresser beziehungsweise Bakteriophagen hießen, nichts anderes taten, als sich zu vermehren, und zwar so, dass man sie gut zählen und quantitativ auswerten konnte. Mit anderen Worten: Diese Viren (oder Phagen) mussten so etwas wie die Atome der Biologie sein, von denen Bohr geträumt hatte und die Delbrück nun sehen und analysieren konnte. Als Delbrück sich ihrer annahm, begann eine neue Epoche der Biologie.
    Mit Delbrücks Hinwendung zu den Phagen konnte aus der Biologie eine exakte Wissenschaft werden, wobei es erneut Kopenhagener Erinnerungen waren, die einen ersten Schritt ermöglichten. Die Frage, die es 1937 zunächst zu beantworten galt, lautete, wie sich die Zahl oder Konzentration von Phagen in einem Reagenzglas oder einem anderen Gefäß bestimmen ließ. Delbrück konnte sie aufgrund von Kenntnissen beantworten, die er als Student der Physik und als Freund von Gamow erworben hatte. Gemeint ist die Beherrschung der Wahrscheinlichkeitsrechnung und der Statistik, wie sie etwa zum Verständnis des radioaktiven Zerfalls benötigt wird.

»Licht und Leben – noch einmal«
    Unter diesem Titel wurde 1963 der Vortrag publiziert, den Bohr am 21. Juni 1962 – wenige Monate vor seinem Tod – zur Einweihung des Instituts für Genetik gehalten hatte, das dank der aktiven Mithilfe von Delbrück an der Universität von Köln gegründet worden war.
Die deutschen Molekularbiologen hatten den nach 1947 als Professor für Biologie fest am Caltech etablierten Delbrück Ende der 1950er Jahre gebeten, ihnen zu helfen, die neue Wissenschaft auch nach Deutschland zu bringen. Delbrück reagierte positiv und kam persönlich für zwei Jahre nach Köln, um die von ihm initiierte Forschung auch in seiner Heimat in Gang zu setzen. Als das Gebäude fertig war, lud er Bohr nach Köln ein und forderte ihn auf, die frühen Überlegungen zu »Licht und Leben« dreißig Jahre später zu überdenken und auf ihre Stimmigkeit hin zu überprüfen. Immerhin war mittlerweile die Molekularbiologie etabliert, die den genetischen Code zu entschlüsseln begonnen und zu verstehen angefangen hatte, wie das Leben in einer Zelle biochemisch reguliert und gesteuert wird.
    Delbrück selbst hatte damals die Hoffnung aufgegeben, in der Genetik die paradoxe Situation erleben zu können, die Rutherford für die Atomphysik gefunden und die Bohr gemeistert hatte. Delbrück hatte gehofft, bei seinen Versuchen, das Leben mit Licht zu verstehen, auf dieselbe Begrenztheit des mechanischen Denkens bei den Genen zu treffen, auf die der Neuseeländer bei seinen Experimenten mit den Atomen gestoßen war. Als 1953 mit der Doppelhelix aus DNA ein Modell des Gens auftauchte, mit dem alle Fragen der Vererbung im Rahmen des klassischen – mechanischen – Denkens beantwortbar zu sein schienen und nirgends zu erkennen war, wo sich die Notwendigkeit einer Art »Quantengenetik« zeigen könnte, hatte Delbrück seine Forschung auf diesem Sektor aufgegeben. Wenn man den Phagen als Wasserstoffatom der Genetik bezeichnet, dann kann man sagen, dass Delbrück nach 1953 versuchte, den Phagen des Sehens beziehungsweise das Wasserstoffatom der Wahrnehmung zu finden. Auch dabei orientierte er sich an einem Gedanken Bohrs, der 1932 gesagt hatte, dass in seinen Augen »die unmechanische Stabilität der Atomstrukturen unverkennbar bei den charakteristischen Eigenschaften so komplizierter chemischer Verbindungen wie Chlorophyll und Hämoglobin zutage tritt«. Mit dem Chlorophyll bringt Bohr die Rede auf ein Molekül, das vom Leben – von seiner Evolution – ausgewählt wurde, um Licht einzufangen.
Um diese Eigenschaft ging es auch Delbrück nach 1953, nur dass sich seine Bemühungen nicht auf die Umwandlung von Energie, sondern auf die von Information konzentrierten, die letztendlich zum Sehen führt.
    Es gibt immer Menschen und Ideen, die ihrer Zeit voraus sind. Dies ist der Wissenschaft nicht unbedingt zuträglich, sondern kann auch dazu führen, dass man sich mit Problemen abgibt, die zu der Zeit, in der man sich ihnen widmet, nicht lösbar sind. Die Hoffnungen, die Bohr und Delbrück auf das Erscheinen oder Erfinden einer der Quantenphysik entsprechenden Quantenbiologie gesetzt hatten, scheinen sich erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu erfüllen. Dabei geht es genau um das Chlorophyll, das Bohr angesprochen hatte. Dieses Molekül dient in Pflanzen und Bakterien dazu, die

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