Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Quantenmechanik noch bei der Thermodynamik ist von den handelnden Personen die Rede, obwohl sie es verdient hätten. Tatsächlich wird uns sogar von höchster philosophischer Stelle aus unter dem Beifall der Intellektuellen im Feuilleton eingeredet, bei den Naturwissenschaften handele es sich um »eine anonyme, kollektive träge Bewegung«, wie es in George Steiners Grammatik der Schöpfung heißt, während die Kunst als eine Folge von unvergleichlichen Kreationen genialer Schöpfer gilt.
Wer so etwas schreibt – und wer so etwas lesend akzeptiert –, der verschließt seine Augen mutwillig vor den kreativen Prozessen, die für viele naturwissenschaftliche Entwicklungen konstitutiv sind. Sie bestehen keinesfalls aus schlichten Entdeckungen (im Sinne von Aufdeckungen bereits vorhandener Gegebenheiten), sondern erweisen sich bei näherem Hinschauen als ebenso freie Hervorbringungen des menschlichen Geistes, wie es die Kunstwerke sind. Dennoch denken wir bei den Naturwissenschaften eher an Inhalte (Quantenmechanik) und bei der Kunst eher an Menschen (Mozart). Da es nun zu den Eigenheiten der Menschen gehört, sich eher für Personalfragen als für Sachprobleme zu interessieren, entsteht der Eindruck, wir wüssten über die Kunst (via den Künstler) besser Bescheid als über die Forschung, die sich nur über ihre nicht immer leicht zugänglichen Gedankengebäude erschließt.
Wenn Wissenschaft die Popularität der Kunst im Rahmen der allgemeinen Bildung erlangen will, muss es ihr gelingen, ihre Protagonisten ebenso bekannt zu machen, wie es die Künstler bereits sind. Es gehört zu den wenig beachteten, aber trotzdem spannenden Fragen, warum es – abgesehen von Ausnahmen wie Albert Einstein und Stephen Hawking – Wissenschaftlern nicht einmal im Ansatz gelingt, den öffentlichen Bekanntheitsgrad zu erreichen, der für Künstler selbstverständlich ist.
Auf diese Weise bleiben die beiden Kulturen in der öffentlichen Meinung getrennt, obwohl wir sie als komplementäre Aktivitäten ansehen sollten. Schließlich finden wir in beiden Feldern das kreative Individuum, das die Mehrheit der anderen Künstler überragt, und eine beträchtliche Anzahl von handwerklich oft nicht weniger geschickten Menschen, die sich ebenfalls um ihre Produktion (ihr Werk) bemühen, ohne besonders aufzufallen oder zu gefallen.
Es könnte übrigens auch sein, dass die Antwort auf die Frage, warum sich die öffentliche Aufmerksamkeit und Verehrung so sehr auf eine bestimmte Person wie Mozart konzentrierten, komplementäre Aspekte zu beachten hat. Zum einen versteht man die Leistung eines Einzelnen nur im Kontext des kulturellen Umfelds, das ihn und das er bildet; zum anderen muss er hier die mittlere Position einnehmen, die der Komponist Hans Zender Mozart bescheinigt, wenn er schreibt: »Mozart scheint lächelnd im windstillen Zentrum jenes gewaltigen Hurrikans zu stehen, den das Ringen dieser Kräfte [zwischen dem alten barocken und dem neuen modernen Europa] entfacht hat. In seinem Werk blitzt einen Moment lang die Harmonie jener großen gegenstrebigen Fügung auf, die Europa als Kultur charakterisiert: das Alte zu bewahren und doch nicht vor der äußersten Umwälzung zurückzuschrecken; das Neue am Alten zu messen, aber auch das Alte immer wieder auf veränderte Weise zu sehen.« (zitiert nach Wolfgang Sander)
Die historische Hilfe
Der innere – komplementäre – Zusammenhang von Kunst und Wissenschaft zeigt sich auch bei einem Blick in die Vergangenheit unserer Kultur. Seit Längerem schon stellen Historiker fest, dass sich die Künste und die Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts gemeinsam bewegt haben. Nicht nur ist eine neue Physik entstanden. Gleichzeitig hat auch die Malerei neue Wege eingeschlagen, wie etwa Picassos Weg zum Kubismus oder Kandinskys Schritt zu den abstrakten Kompositionen zeigen. Daneben ist eine neue Musik mit einer eigenwilligen Harmonielehre entstanden – Arnold Schönbergs Zwölftonmusik, eine Kompositionstechnik, die später zur Seriellen Musik weiterentwickelt wurde. Zugleich hat sich die Literatur – repräsentiert etwa durch Rainer Maria Rilke – in symbolischer Spiegelung der Welt menschlicher Grunderfahrungen zugewandt.
Vielleicht kann eine vergleichende historische Analyse helfen, die Modernisierung eines Bereichs – der Physik zum Beispiel – durch die Erneuerung eines anderen Bereichs – der Malerei – verständlich zu machen. Dieses Vorhaben orientiert sich am Grundsatz der
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