Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
wollte uns darauf vorbereiten.
KAPITEL 7
Was heißt »Gott würfelt nicht«?
Niels Bohr und Albert Einstein muss man zusammendenken, wenn man die Entwicklung ihrer Wissenschaft verstehen oder wenigstens den großen Schritt nachvollziehen will, der zu beider Lebzeiten gelungen ist. Möglicherweise braucht jede Disziplin der Forschung einen Einstein wie auch einen Bohr, um mit deren Aura und Ideen den großen Sprung zu schaffen, der von einer ersten – klassischen – Form des Wissens zu einer weitergehenden führt.
Niels Bohr war stets auf der Suche nach Diskussionen, und er hat seine vermutlich nachhaltigsten Gespräche mit Einstein geführt. Bohr selbst hat dabei sein intellektuelles Ringen mit Einstein um ein Verstehen der Wirklichkeit und ihrer Kausalstruktur, die nach dem Aufkommen der Quantenmechanik erkennbar wurde, als Dialog bezeichnet und uns eine ausführliche Aufzeichnung davon hinterlassen. Sie wurde im Jahr 1949 angefertigt, als die Welt den siebzigsten Geburtstag des Vaters der Relativitätstheorie im amerikanischen Princeton feierte und die Kollegen und Freunde Einsteins sich vorgenommen hatten, aus diesem Anlass einen umfangreichen Band mit dem Titel Albert Einstein: Philosopher – Scientist herauszugeben.
Bohr hat damals spontan zugesagt, sich an diesem Unterfangen mit einem Essay zu beteiligen, und sofort angegeben, dass er sich darin »über die vielen Gelegenheiten, bei denen ich in den vergangenen Jahren das Privileg hatte, mit Einstein über die erkenntnistheoretischen Fragen zu diskutieren, die sich uns durch die Fortschritte der Atomphysik stellten«, äußern wolle. Im Folgenden werden einige dieser Gelegenheiten herausgegriffen, um zu zeigen, zu welchen Höhen ein philosophisch angelegtes Gespräch unter
Wissenschaftlern gelangen kann, wenn sie den Gegenstand ernst nehmen, konkrete und persönlich gewonnene Einsichten in die Natur erörtern können und ihre Wissenschaft mit den allgemeinen Themen verweben wollen, denen sich die menschliche Neugierde zuwendet.
Die Gesprächspartner
Einstein meint man zu kennen. Er war der unkonventionelle Mann mit dem wirren Haar, ein genialer Physiker, der gern barfuß herumlief und selbstbewusst lächelte. Seine ersten fundamentalen Beiträge zur Physik lieferte er 1905 als Angestellter unterer Klasse am Berner Patentamt. Ein Dutzend Jahre später wurde er Direktor eines Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik ohne Verwaltungsaufgaben in Berlin. Ein ordentlicher Professor war er nur für kurze Zeit. Zu seiner ersten Vorlesung kamen drei Studenten. Als zwei nicht mehr erschienen, blieb auch er weg; er schrieb dem dritten eine Postkarte und wünschte ihm alles Gute.
Einstein verhielt sich häufig ungewöhnlich. Er galt als überzeugter Pazifist und Freigeist. Doch so einfach lässt er sich nur auf den ersten Blick charakterisieren. Der zweite Blick verwirrt. Hat nicht ein Brief von Einstein an den amerikanischen Präsidenten veranlasst, dass die Amerikaner die Atombombe bauten? Und hat nicht gerade Einstein immer wieder von Gott gesprochen, wenn er seine philosophischen Überzeugungen formulieren wollte? Sein wohl berühmtester Satz zu diesem Thema lautet: »Raffiniert ist der Herrgott, aber boshaft ist er nicht.«
Bohr scheint so etwas wie das Musterbeispiel für bürgerliche Konventionen zu bieten. Er wirkte brav und solide, trug stets einen unauffälligen Anzug und das Haar ordentlich nach hinten gekämmt. Er führte ein geordnetes Familienleben und war ein ordentlicher Professor, der sich um seine Wissenschaft und seine Studenten sorgte. Seltsamerweise dachte gerade er viel revolutionärer als die meisten anderen Physiker. Bohr ging in mancher Hinsicht sogar
wesentlich radikaler als Einstein vor, und einen Gott oder einen religiösen Halt brauchte er für seine Zufriedenheit nicht.
Zwischen diesen beiden Physikern, die als die unumstritten größten unserer Zeit angesehen werden, kam es vom Herbst 1927 an zu einer erkenntnistheoretischen Diskussion, die in ihrer Bedeutung möglicherweise mit der Debatte vergleichbar ist, die Isaac Newton und Gottfried Wilhelm Leibniz im frühen 18. Jahrhundert führten. Damals ging es unter anderem um das Wesen von Raum, Zeit und Materie; zwischen Einstein und Bohr ging es um die Deutung des Quantums, um die Interpretation der Quantenmechanik und die Frage der physikalischen Wirklichkeit. Im Hintergrund lauerte aber die Frage: Wie konnte man einen Gott in das Weltbild einordnen, das die Menschen zu entwerfen
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