Niels Bohr - Physiker und Philosoph des Atomzeitalters
Interferenzmuster verschwindet. Wenn man die Elektronen am Doppelspalt fragt, ob sie Teilchen sind, antworten sie mit Ja. So deutet sich in diesem Versuch eine seltsame Zusammengehörigkeit von Objekt und Subjekt an, eine Einheit, die Bohr als Ganzheit der Phänomene bezeichnete.
Das Photon im Kasten
Nach der ersten Diskussion bemühte sich Einstein in den folgenden Jahren, Versuche zu finden, durch die es gelingen würde, den Beschränkungen der Unbestimmtheitsrelationen zu entkommen. Seinen wichtigsten Vorschlag zu einem entsprechenden Gedankenexperiment machte er auf der sechsten Solvay-Konferenz 1930 in Brüssel.
Mithilfe des »Photons im Kasten« wollte Einstein demonstrieren, dass er sowohl die Energie eines solchen Teilchens als auch den Zeitpunkt, zu dem es über Energie verfügt, bestimmen konnte und die Relationen von Heisenberg somit kein universales epistemologisches Prinzip bedeuten. Nach der quantenmechanischen Unbestimmtheit sollte dies nicht gleichzeitig in einem einzigen Versuch möglich sein. Einsteins Apparat besteht aus einem Kasten, in dem sich Photonen befinden, in dem es also hell ist. Auf einer Seite befindet sich ein kleines Loch, das durch einen Schieber geöffnet und geschlossen werden kann. Dieser Schieber wird von einer Uhr aktiviert, die sich innerhalb des Kastens befindet. Sie ist so eingestellt, dass die Öffnung gerade so lange freigegeben wird, dass ein einzelnes Photon nach außen entkommen kann.
Man kann den Kasten vor und nach der Schieberbewegung wiegen und so die Masse des Photons bestimmen. Damit kennt man auch seine Energie, denn die berechnet sich als Produkt aus der Masse und dem Quadrat der Lichtgeschwindigkeit. In diesem Versuch gibt es keine Beschränkung der Genauigkeit, mit der die Energie und der Zeitpunkt der Schieberöffnung bestimmt werden. Dies darf aber – nach der Quantenmechanik und ihren Interpreten – nicht sein. Demnach, so schloss Einstein, ist diese Theorie entweder nicht vollständig oder sie birgt Widersprüche in sich.
»Dieses Argument bedeutete eine ernste Herausforderung«, schrieb Bohr in seinem Essay, und es »gab Anlass zu einer gründlichen Prüfung des ganzen Problems«. Bohr verbrachte eine schlaflose Nacht in Brüssel, um den Haken in Einsteins Präsentation aufzuspüren. Es gelang ihm, eine befriedigende Lösung zu finden, zu
der Einstein selbst einen entscheidenden Beitrag lieferte. Es stellte sich nämlich heraus, dass das Problem bei richtiger Anwendung der Allgemeinen Relativitätstheorie verschwindet. In Bohrs Worten hört sich die Lösung allerdings ein wenig kompliziert an:
Bei näherer Betrachtung erwies es sich als notwendig, die Folgen der Identifizierung von Trägheits- und Gravitationsmasse ... eingehender zu untersuchen. Im Besonderen erschien es wesentlich, die Beziehung zwischen dem Gang einer Uhr und ihrer Lage in einem Gravitationsfeld zu berücksichtigen, eine Beziehung, die aus der Rotverschiebung der Linien im Sonnenspektrum wohlbekannt ist und aus dem Einsteins Prinzip der Äquivalenz zwischen Schwerkraftwirkungen und den Erscheinungen, die in beschleunigten Bezugssystemen beobachtet werden, folgt.
Bohr musste also nach den Sternen greifen, um das Verhalten der Atome deuten zu können. Man kann seine Überlegungen auch etwas einfacher ausdrücken: Um das Gewicht des Photons zu bestimmen, muss der Kasten gewogen, also zum Beispiel an einer Feder befestigt werden. Ein Zeiger erlaubt uns, den Zustand der Feder und damit das Gewicht auf einer Skala abzulesen. Wir wollen die Aufwärtsbewegung der Feder in dem Moment ermitteln, in dem das Photon entkommt. Es dauert natürlich eine gewisse Zeit, bis die Federschwingungen zur Ruhe kommen. In diesem Intervall bewegt sich die Uhr im Gravitationsfeld der Erde. Nach Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie verändert sich in diesem Fall aber der Gang der Uhr. Es gehört nämlich zu den zugleich fundamentalen, für den gesunden Menschenverstand unglaublichen und experimentell genau überprüften Vorhersagen von Einsteins umfassender Theorie der Raumzeit, in der wir leben, dass die Zeit in ihr nicht absolut und ungestört vergeht, sondern von den Umständen abhängt, an denen sie gemessen wird. Sie verläuft relativ zur Energie, und da sie sich mit dem Abstand der Feder von der Erde ändert, schleicht sich in die Bestimmung des Zeitpunkts, zu dem das Photon den Kasten verlässt, eine Ungenauigkeit ein, die Bohr dank Einsteins Theorie sogar genau ausrechnen konnte.
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