Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
bist!«
Und dann waren sie da.
Als die wilden Gänse vor ihnen standen, verbeugtensie sich viele Male mit dem Hals, und der Gänserich tat dasselbe, noch mehrmals als sie. Sobald man sich hinreichend begrüßt
hatte, sagte die Führergans: »Jetzt können wir wohl erfahren, was für Leute ihr seid?«
»Von mir ist nicht viel zu sagen,« erwiderte der Gänserich. »Ich bin im letzten Frühling in Skanör geboren. Im Herbst wurde
ich an Holger Nielsen in Westvemmenhög verkauft, und da bin ich seither gewesen.«
»Es scheint ja gerade nicht, als wenn du Grund hättest, mit deiner Familie zu prahlen,« sagte die Führergans. »Was macht dich
denn so eingebildet, daß du dich den wilden Gänsen anschließen willst?« – »Es könnte ja sein, daß ich euch wilden Gänsen zeigen
will, daß auch wir zahmen Gänse zu etwas zu gebrauchen sind,« sagte der Gänserich. – »Das wäre ja schön, wenn du uns das zeigen
wolltest!« meinte die Führergans. »Wir haben nun schon gesehen, wie gut du fliegen kannst, aber vielleicht bist du tüchtiger
auf anderen Gebieten. Du hast vielleicht Übung im langen Schwimmen?« – »Nein, dessen kann ich mich nicht rühmen.« Er glaubte
schon merken zu können, daß die Führergans bereits beschlossen hatte, ihn heimzusenden, und er machte sich nichts daraus,
was er antwortete. »Ich bin nie weiter geschwommen als über eine Mergelgrube,« fuhr er fort. – »Dann erwarte ich, daß du ein
Meister im Laufen bist,« sagte die Gans. – »Nie habe ich eine zahme Gans laufen sehen, und habe es auch selbst nicht getan,«
sagte der Gänserich und machte sich noch geringer, als er war.
Der große Weiße war nun fest überzeugt, daß die Führergans sagen würde, sie wolle ihn unter keinen Umständen mitnehmen. Er
war höchlichst überrascht, als sie sagte: »Du antwortest mutig, wenn man dich fragt, und wer Mut hat, kann ein guter Reisekamerad
werden, wenn er auch im Anfang nicht tüchtig ist. Was meinst du dazu, daß du ein paar Tage bei uns bleibst, bis wir gesehen
haben, ob du zu etwas zu gebrauchen bist?« »Damit bin ich sehr zufrieden,« sagte der Gänserich und war sehr vergnügt.
Darauf zeigte die Führergans mit dem Schnabel auf den Jungen und sagte: »Aber wer ist denn das, den du da bei dir hast? So
einen hab' ich noch nie gesehen.« – »Das ist mein Kamerad,« sagte die Gans. »Er ist sein ganzes Leben lang Gänsejunge gewesen.
Er kann sicher auf der Reise von Nutzen sein.« – »Das mag ja für eine zahme Gans ganz gut sein,« entgegnete die wilde. »Wie
heißt er?« – »Er hat mehrere Namen,« sagte der Gänserich zögernd und wußte nicht, was er in der Eile ersinnen sollte, denn
er wollte nicht verraten, daß der Junge einen Menschennamen hatte. »Er heißt Däumling!« sagte er endlich. »Ist er aus dem
Geschlecht der Kobolde?« fragte die Führergans. – »Um welche Zeit pflegt ihr Wildgänse euch eigentlich zum Schlafen hinzusetzen?«
fragte der Gänserich schnell, um der Antwort auf die letzte Frage zu entgehen. »Meine Augen fallen um diese Zeit des Tages
von selbst zu.«
Es war leicht zu sehen, daß die Gans, die mit dem Gänserich sprach, sehr alt war. Das ganze Federkleidwar eisgrau, ohne dunkle Streifen. Der Kopf war größer, die Beine gröber und die Füße mehr abgetreten als die irgendeiner
andern Gans. Die Federn waren steif, die Flügel knochig, und der Hals war dünn. Dies alles war das Werk des Alters. Nur den
Augen hatte die Zeit nichts anzuhaben vermocht. Sie schienen klarer, gleichsam jünger als die all der andern.
Sie wandte sich jetzt mit Würde an den Gänserich. »Jetzt sollst du wissen, Gänserich, daß ich Akka von Kebnekajse bin, und
die Gans, die zu meiner Rechten fliegt, ist Yki von Vassijaure, und die zu meiner Linken ist Kaksi von Nuolja! Du sollst auch
wissen, daß die zweite Gans zur Rechten Kolme von Svappavara ist, und dahinter fliegt Viisi von den Oviksbergen und Kuusi
von Sjangeli! Und du sollst wissen, daß diese, sowie die sechs jungen Gänse, die zu hinterst fliegen, drei rechts und drei
links, alle Hochgebirgsgänse von edelstem Stamme sind. Du mußt uns nicht für Landstreicher halten, die mit jedem Beliebigen
fliegen, und du mußt nicht glauben, daß wir unsern Schlafplatz mit jemand teilen, der nicht sagen will, welcher Familie er
entstammt.«
Als die Führergans also sprach, ging der Junge schnell auf sie zu. Es hatte ihm weh getan, daß der Gänserich, der so
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