Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
Gräben hinab, und wo er ging, mußten sie ihm folgen. Er blies unaufhörlich auf seiner
Flöte, die aus einem Tierhorn gemacht zu sein schien. Aber das Horn war so klein, daß es heutigentags kein Tier gibt, dessen
Stirn es entrissen sein könnte. Es wußte auch niemand, wer es verfertigt hatte. Flammea, die Turmeule, hatte es in einer Nische
in dem Turm des Domes von Lund gefunden. Sie hatte es Bataki, dem Raben, gezeigt, und die beiden hatten ergründet, daß es
so ein Horn war, wie es in alten Zeiten von denen gemacht wurde, die sich Gewalt über Ratten und Mäuse verschaffen wollten.
Der Rabe aber war Akkas Freund, und von ihm hatte sie erfahren, daß Flammea im Besitze eines solchen Schatzes war.
Und es verhielt sich wirklich so, daß die Ratten der Flöte nicht widerstehen konnten. Der Junge ging voran und spielte, solange
die Sterne schimmerten, und siefolgten ihm die ganze Zeit. Er spielte bei Tagesgrauen, er spielte bei Sonnenaufgang, und immer folgte ihm die ganze Schar
der grauen Ratten und wurde immer weiter von den großen Kornböden in Glimminghaus fortgelockt.
V. Der große Kranichtanz auf dem Kullaberge
Dienstag, den 29. März.
Man muß einräumen, daß, obwohl viele prachtvolle Gebäude in Schonen errichtet sind, doch keines von ihnen allen so schöne
Mauern hat wie der alte Kullaberg. Kullaberg – Kullen.
Der Kullaberg ist niedrig und langgestreckt. Er ist keineswegs ein großer oder gewaltiger Berg. Auf dem breiten Bergrücken
liegen Wälder und Felder und hin und wieder eine Heide. Hier und da ragen runde Heidehügel und nackte Bergkuppen auf. Es ist
nicht sonderlich schön dort oben, es sieht dort so aus wie an allen andern hochgelegenen Orten in Schonen.
Wer die Landstraße entlang geht, die mitten über den Berg führt, kann nicht umhin, sich ein klein wenig enttäuscht zu fühlen.
Aber dann biegt er am Ende zufällig vom Wege ab und geht an die Seiten des Berges hinaus und sieht an dem Abhang hinab, und
dann entdeckt er plötzlich so viel, was des Sehens wert ist, daß er kaum weiß, woher er die Zeit nehmen soll, es alles zu
sehen.Denn die Sache ist die, daß der Kullaberg nicht im Lande liegt mit Ebenen und Tälern rings umher wie andere Berge, sondern
er hat sich ins Meer hinausgestürzt, so weit er kommen konnte. Nicht der geringste Streifen Landes liegt am Fuße des Berges
und beschützt ihn gegen die Wellen des Meeres, nein, sie gelangen bis ganz an die Bergwände hinan und können sie nach ihrem
Gutdünken abschleißen und formen.
Deswegen stehen die Bergwände dort so reichgeschmückt, wie es das Meer und sein Gehilfe, der Wind, nur zu tun vermochten.
Da sind steile Schluchten, die tief in die Seiten des Berges eingeschnitten sind, und schwarze Felsklippen, die blank geschliffen
sind von dem ständigen Peitschenschlag des Windes. Da sind einsame Steinsäulen, die sich kerzengerade aus dem Wasser erheben,
und dunkle Grotten mit engem Eingang. Da sind lotrechte, nackte Felswände und Abhänge mit freundlichen Laubwäldern. Da sind
kleine Landzungen und kleine Buchten mit kleinen Rollsteinen, die mit jedem Wellenschlag rasselnd auf und nieder gespült werden.
Da sind stattliche Klippentore, die sich über dem Wasser wölben; da sind spitze Steine, die unaufhörlich von weißem Schaum
überspritzt werden, und andere, die sich in schwarzgrünem, unveränderlich stillem Wasser spiegeln. Da sind Riesenkessel, die
in die Felsklippen hineingegraben sind, und mächtige Spalte, die den Wandersmann locken, sich in die Tiefe des Berges bis
in Kullamanns Höhle hineinzuwagen.
Auf und ab an allen diesen Schluchten und Klippen klettern und kriechen Ranken und Schlingpflanzen.Bäume wachsen dort auch, aber die Macht des Windes ist so groß, daß sich selbst die Bäume in Schlingpflanzen verwandeln müssen,
um sich an den Abhängen festhalten zu können. Die Eichen liegen und kriechen an der Erde, während das Laub über ihnen steht
wie eine gedrängte Wölbung, und niedrigstämmige Buchen stehen in den Schluchten gleich großen Laubzelten.
Diese eigentümlichen Bergwände im Verein mit dem breiten, blauen Meer da draußen und der sonnenzitternden, starken Luft darüber
machen den Kullaberg den Menschen so lieb, daß große Scharen von ihnen jeden Tag, so lange der Sommer währt, dahinaufziehen.
Schwieriger ist es wohl, zu sagen, was den Berg so anziehend für die Tiere macht, daß sie sich jedes Jahr dort zu einer großen
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