Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil
ausgelassene
Buben. Sie, die bisher in der schönsten Ordnung geflogen waren, fingen an, Haschen zu spielen. Sie flogen die Kreuz und die
Quer, um sich irre zu leiten. »Hütet euch!« riefen sie. »Ihr fliegt ja nur im Kreise! So kehrt doch um! Glaubt nicht, daß
ihr auf diese Weise nach Öland kommt!«
Sie wußten alle recht gut, wo die Insel lag, aber sie taten ihr Bestes, um einander irre zu leiten. »Seht doch die Eisenten!«
ertönte es aus dem Nebel. »Die fliegen nach der Nordsee zurück.« – »Nehmt euch inacht, ihr grauen Gänse!« wurde von einer andern Seite gerufen. »Wenn ihr so weiter fliegt, kommt ihr ganz nach Rügen hin!«
Es herrschte, wie gesagt, keine Gefahr, daß, die Vögel, die gewohnt waren, diesen Weg zu ziehen, sich anderwärts hinlocken
lassen sollten. Schwer aber war es für die wilden Gänse. Die Spektakelmacher merkten, daß sie des Weges nicht sicher waren,
und taten alles, was sie konnten, um sie zu verwirren.
»Wo wollt ihr hin, ihr guten Leute?« rief ein Schwan. Er flog dicht an Akka heran und sah ernsthaft und teilnehmend aus.
»Wir wollen nach Öland, aber wir sind nie zuvor da gewesen,« sagte Akka. Sie meinte, er sei ein Vogel, dem sie trauen dürfe.
»Das ist schlimm!« sagte der Schwan. »Sie haben euch ja irre geleitet. Ihr seid auf dem Wege nach Bleking. Kommt jetzt mit
mir, ich will euch den Weg zeigen.«
Und dann fuhr er mit ihnen von dannen, und als er sie so weit von der großen Heerstraße weggelockt hatte, daß sie keinen Ruf
mehr hörten, verschwand er im Nebel.
Jetzt flogen sie eine Weile aufs Geratewohl umher. Kaum war es ihnen geglückt, wieder zu den Vögeln zurückzufinden, als eine
wilde Ente auf sie zu kam. »Ihr tut am besten, wenn ihr euch auf das Wasser niederlegt, bis sich der Nebel verzogen hat,«
sagte die Ente. »Man kann gleich merken, daß ihr nicht daran gewöhnt seid, euch auf Reisen zu behelfen!«
Fast wäre es den Spaßmachern gelungen, Akka ganz verwirrt zu machen. Soweit der Junge es beurteilen konnte, flogen die wilden
Gänse eine lange Zeit im Kreise herum.
»Nehmt euch in acht! Seht ihr denn nicht, daß ihr auf und nieder fliegt?« rief eine Lumme, indem sie vorüberbrauste. Der Junge
umfaßte unwillkürlich den Hals des Gänserichs fester. Davor war er schon lange bange gewesen.
Es ist unmöglich, zu sagen, wann sie Öland erreicht haben würden, wenn nicht in weiter Ferne ein dumpfer, dröhnender Schuß
ertönt wäre.
Da streckte Akka den Hals aus, schlug hart mit den Flügeln und setzte sich in volle Fahrt, Jetzt hatte sie etwas, wonach sie
sich richten konnte. Die graue Gans hatte ihr nämlich gesagt, sie solle sich nicht auf der äußersten Südspitze von Öland niederlassen,
denn dort stünde eine Kanone, mit der die Menschen auf den Nebel zu schießen pflegten. Jetzt kannte sie die Richtung, und
jetzt sollte niemand in der Welt sie mehr irreführen.
XI. Die Südspitze von Öland
Den 3. bis 6. April.
Auf dem südlichen Teil von Öland liegt ein altes Krongut, das Ottenby heißt. Es ist ein ziemlich großes Gut, das sich quer
über die Insel erstreckt, von einer Küste zur andern, und es zeichnet sich dadurch aus, daß es immer der Aufenthaltsort von
großenTierscharen gewesen ist. Im siebzehnten Jahrhundert, als die Könige nach Öland zogen, um zu jagen, war das ganze Besitztum
nur ein einziger großer Tiergarten. Im achtzehnten Jahrhundert war hier ein Gestüt, in dem edle Rassepferde gezüchtet wurden,
und eine Schäferei von mehreren Hundert Schafen. Heutzutage gibt es weder Vollblutpferde noch Schafe bei Ottenby. Statt dessen
sind dort große Scharen von jungen Pferden, die in den schwedischen Kavallerieregimentern benutzt werden.
Es gibt wohl kein Gut im ganzen Lande, das ein besserer Aufenthaltsort für Tiere wäre. An der Ostküste entlang liegt die alte
Schäferwiese, die über eine Viertelmeile lang ist, die größte Wiese auf ganz Öland, wo die Tiere grasen und sich so frei tummeln
können wie in der Wildnis. Und da ist der berühmte Ottenbyer Hain mit den hundertjährigen Eichen, die Schatten gegen die Sonne
spenden und Schutz gegen den scharfen Ostwind. Und dann darf man nicht die lange Ottenbyer Mauer vergessen, die von einer
Küste zur andern geht und Ottenby von dem übrigen Teil der Insel trennt, so daß die Tiere wissen können, wie weit das alte
Königsbesitztum sich erstreckt, und sich hüten, andern Boden zu betreten, wo sie nicht so geschützt
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