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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Aber einmal fegte der wilde Sturm sie in das Wasser hinein. Ein anderes Mal kamen die unbarmherzigen Seehunde
     auf das Eis gekrochen.
    Bei Sonnenuntergang waren die Gänse noch einmal oben in der Luft. Sie flogen vorwärts, ängstlich vor der Nacht. Es war ihnen,
     als komme die Dunkelheitan diesem Abend, der so voller Gefahren war, allzu schnell über sie.
    Es war entsetzlich, daß sie noch kein Land sahen. Wie sollte es ihnen ergehen, wenn sie gezwungen waren, die ganze Nacht draußen
     auf dem Meer zu verbringen. Entweder würden sie von den Eisschollen zermalmt, oder von den Seehunden gefressen, oder vom Sturm
     zerstreut werden.
    Der Himmel war von Wolken verhüllt, der Mond versteckte sich dahinter, und die Dunkelheit brach früh herein. Als sie eintrat,
     war die ganze Natur von einem Grauen und einer Unheimlichkeit erfüllt, die selbst die mutigsten Herzen erbeben machten. Den
     ganzen Tag hatte man Schreie von Zugvögeln in Not über das Meer hinschallen hören, aber jetzt, wo man nicht mehr sehen konnte,
     woher die Schreie kamen, klangen sie unheimlich und furchteinflößend. Unten auf dem Meer stießen die Eisschollen mit mächtigem
     Krachen zusammen. Die Seehunde stimmten ihre wilden Jagdgesänge an. Es war, als sollten Himmel und Erde zusammenstürzen.
    Die Schafe.
    Der Junge hatte eine Weile dagesessen und in das Meer hinabgesehen. Plötzlich war es ihm, als werde das Brausen stärker als
     bisher. Er sah auf. Gerade vor ihm, nur drei oder vier Ellen entfernt, ragte eine kahle und rauhe Bergwand auf. An ihrem Fuß
     zerschellten die Wellen zu dem wildesten Schaumgischt. Die wilden Gänse flogen gerade auf die Klippe zu undder Junge konnte es sich nicht anders denken, als daß sie dagegen zerschmettert werden müßten.
    Aber als er sich eben noch verwunderte, daß Akka diese Gefahr nicht beizeiten gesehen hatte, erreichten sie den Berg. Da entdeckte
     er auch gerade vor ihnen die halbrunde Öffnung zu einer Grotte. Dort hinein steuerten die Gänse, und im nächsten Augenblick
     befanden sie sich in Sicherheit.
    Das erste, woran die Reisenden dachten, ehe sie sich Zeit ließen, sich ihrer Rettung zu freuen, war, daß sie nachsahen, ob
     auch alle ihre Kameraden in Sicherheit waren. Da waren Akka, Yksi, Kolme, Neljä, Biisi, Kuusi und alle sechs Gössel, der Gänserich,
     Daunenfein und Däumling, aber Kaksi aus Nuolja, die erste Gans auf dem linken Flügel, war verschwunden, und niemand wußte
     etwas über ihr Schicksal.
    Als die Wildgänse entdeckten, daß keine andere als Kaksi von der Schar getrennt war, beruhigten sie sich. Kaksi war alt und
     klug. Sie kannte alle ihre Wege und Gewohnheiten, und sie würde schon zu ihnen zurückfinden.
    Dann begannen die wilden Gänse, sich in der Höhle umzusehen. Es kam noch so viel Licht in die Öffnung hinein, daß sie sehen
     konnten, wie tief und breit die Grotte war. Sie freuten sich, ein so prächtiges Nachtquartier gefunden zu haben, als eine
     von ihnen plötzlich ein paar schimmernde, grüne Punkte entdeckte, die ihnen aus einem dunklen Winkel entgegenleuchteten. »Das
     sind Augen!« rief Akka; »hier drinnen sind große Tiere!« Sie stürzten auf den Ausgang zu, aberDäumling, der in der Dunkelheit besser sah als die wilden Gänse, rief ihnen zu: »Da ist kein Grund, bange zu sein. Es sind
     nur einige Schafe, die dort an der Wand der Grotte entlang liegen.«
    Als sich die wilden Gänse an das Halbdunkel der Grotte gewöhnt hatten, konnten auch sie die Schafe deutlich erkennen. Die
     ausgewachsenen Schafe mochten ihnen wohl an Zahl gleich sein, aber außerdem waren noch einige kleine Lämmer da. Ein großer
     Widder mit langen, gewundenen Hörnern schien der vornehmste in der Schar zu sein. Die wilden Gänse traten vor ihn hin und
     verneigten sich tief. »Willkommen in der Wildnis!« grüßten sie, der Widder aber lag still und sagte kein Wort zur Bewillkommnung.
    Die wilden Gänse glaubten nun, daß die Schafe ungehalten darüber seien, daß sie in ihre Grotte eingekehrt waren. »Es ist vielleicht
     nicht ganz angebracht, daß wir hier in der Grotte Unterkunft genommen haben?« fragte Akka. »Aber wir können nichts dazu tun,
     der Wind ist schuld daran. Der Sturm hat uns den ganzen Tag herumgepeitscht, und wir würden sehr dankbar sein, wenn wir die
     Nacht hierbleiben dürften.« Es währte sehr lange, bis eins der Schafe ein Wort erwiderte, aber man konnte deutlich hören,
     daß einige von ihnen tief seufzten. Akka wußte sehr wohl, daß Schafe

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