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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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Klippenblock. Sie war wie ein schwarzes Haus mit lotrechten Wänden und flachem Dach. Der Widder ging erst
     auf das flache Dach hinauf und zeigte dem Jungen die guten Grasweiden dort, und der Junge mußte einräumen, daß die Insel wie
     für Schafe geschaffen war. Dort oben wuchs nicht viel weiter als Schafschwingel und solche kleine, trockene, würzige Kräuter,
     wie sie die Schafe lieben.
    Aber da war wahrlich anderes zu sehen als Schaffutter für den, der ein klein wenig höher hinauf gekommen war. Da sah man
     erstens das ganze Meer, das jetzt blau und sonnenbeschienen dalag und in blanken Dünungen rollte; nur hier und da an einer
     Klippenspitze spritzte der Schaum in die Luft hinauf. Gerade gegenüber lag Gulland mit seiner langen und geraden Küste, und
     im Südwesten lag die große Karlsinsel, die ganz so gebaut war wie die kleine Karlsinsel. Als der Widder hart an den Rand des
     Klippendaches ging, so daß der Junge an den Felswänden herabsehen konnte, entdeckte er, daß sie ganz voll von Vogelnestern
     waren, und in dem blauen Meer unter ihm lagen Krickenten und Sammetenten und Eidervögel und Lummen und Alken still und friedlich
     und belustigten sich damit, Heringe zu fischen.
    »Das ist doch ein herrliches Land hier,« sagte der Junge. »Ihr wohnt wirklich hübsch, ihr Schafe.« – »Ja, schön ist es hier,«
     sagte der alte Widder. Es war, als hätte er noch mehr sagen wollen, aber er seufzte nur. »Wenn du hier aber alleine gehst,
     mußt du dich vor allen den Spalten in acht nehmen, die durch den Berg gehen,« fügte er nach einer Weile hinzu. Die Warnung
     kam gerade zur rechten Zeit, denn da waren an mehreren Stellen tiefe und breite Spalte. Der größte davon hieß das Höllenloch.
     Es war viele Klafter tief und fast einen Klafter breit. »Fällt man da hinab, so ist es gleich mit einem aus,« sagte der Widder.
     Dem Jungen wollte es scheinen, als bezwecke er etwas mit den Worten.
    Dann führte er den Jungen an den Strand hinab. Nun bekam er die Kobolde, vor denen er in der Nacht so bange gewesen war,
     aus nächster Nähe zu sehen; sie waren nichts weiter als große Klippenblöcke. Der Junge konnte sich nicht satt daran sehen;
     er dachte, wenn es jemals Kobolde gegeben hatte, die in Stein verwandelt worden waren, so müßten sie so ausgesehen haben.
    Aber da unten am Strande war noch etwas anderes, was noch unheimlicher war. Überall lagen dort tote Schafe. Es schien so,
     als wenn die Füchse hier ihre Mahlzeit abgehalten hätten. Er sah Skelette, die ganz abgeschält waren, aber auch Schafleiber,
     die nur halb verzehrt waren und andere, von denen sie kaum gekostet, und die sie dann hatten liegen lassen. Es war geradezu
     herzzerreißend, zu sehen, wie sich die Raubtiere nur der Belustigung halber, nur um zu jagen und zu zerreißen, über die Lämmer
     gestürzt hatten.
    Der Widder ging still an toten Schafen vorüber, der Junge aber konnte nicht umhin, all das Traurige zu sehen.
    Jetzt klomm der Widder wieder die Felsenhöhe hinan, als er aber ganz hinaufgekommen war, blieb er stehen und sagte: »Wenn
     jemand, der klug und tapfer ist, all das Elend sehen könnte, das hier herrscht, würde er sicher keine Ruhe finden, bis die
     Füchse ihre verdiente Strafe erhalten hatten.« – »Die Füchse müssen wohl auch leben,« sagte der Junge. – »Ja,« erwiderte der
     Widder, »alle, die nicht mehr Tiere töten, als sie zu ihrem Unterhalt gebrauchen, dürften amLeben bleiben. Aber solche Missetäter!« – »Könnten die Bauern, denen die Insel gehört, denn nicht herüberkommen und euch
     helfen?« fragte der Junge. – »Sie sind mehrmals hier gewesen,« antwortete der Widder, »aber die Füchse verstecken sich in
     Höhlen und Spalten, so daß sie nicht dazu kommen können, sie zu erschießen.« – »Du denkst doch wohl nicht, daß so ein armer
     kleiner Wicht wie ich, den Tieren den Garaus machen kann, mit denen weder ihr noch die Bauern fertig werden könnt?« – »Ein
     kleiner und verwegener Kerl ist besser als ein großer und träger,« sagte der alte Widder.
    Dann sprachen sie nicht mehr über die Sache, aber der Junge lief hin und setzte sich zu den wilden Gänsen, die dort weideten.
     Obwohl er es den Widder nicht sehen lassen wollte, war er doch sehr betrübt um der armen Schafe willen und wünschte von Herzen,
     daß er ihnen helfen könne. »Ich will mit Akka und dem Gänserich Martin darüber reden,« dachte er, »vielleicht können die einen
     guten Rat ersinnen.«
    Nach

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