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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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tiefen, gewölbten Toreingang. Die Wände waren so mit Bildhauerarbeit geschmückt,
     daß da auch nicht ein Stein war, der nicht seinen Zierat gehabt hätte. Und welche Pracht sah man nicht durch das offene Portal
     schimmern: goldene Kreuze und goldbeschlagene Altäre und Priester in goldenem Ornat! Der Kirche gerade gegenüber lag ein Haus
     mit Zinnen und einem einzigen wolkenragenden Turm. Das war wohl das Rathaus.
    Und zwischen der Kirche und dem Rathaus, um den ganzen Marktplatz herum, standen die schönen Giebelhäuser mit den mannigfaltigsten
     Ausschmückungen.
    Der Junge hatte sich warm und müde gelaufen. Er meinte, daß er nun das Bemerkenswerteste gesehen hatte, und begann deswegen,
     langsamer zu gehen. Die Straße, in die er jetzt eingebogen war, mußte wohl die sein, in der die Stadtbewohner ihre prächtigen
     Kleider kauften. Überall vor den kleinen Buden wimmelte es von Leuten, während die Verkäufer steife, geblümte Seidenstoffe,
     dicken Goldbrokat, bunten Sammet, leichte Florschals und Spitzen wie Spinnengewebe über den Ladentisch ausbreiteten.
    Vorhin, während der Junge durch die Straßen lief, hatte ihn niemand beachtet. Die Menschen hatten gewiß geglaubt, daß es nur
     eine kleine, graue Maus sei,die an ihnen vorüberhuschte. Aber jetzt, wo er langsam die Straße hinaufging, erblickte ihn einer der Kaufleute und winkte
     ihm zu.
    Der Junge wurde anfänglich bange und wollte vorüberlaufen, aber der Kaufmann winkte und lächelte und breitete ein herrliches
     Stück Seidendamast auf dem Ladentisch aus, um ihn zu locken.
    Der Junge schüttelte den Kopf: »Ich werde nie so reich, daß ich auch nur eine Elle von dem Stoff kaufen kann,« dachte er.
    Aber nun hatten sie ihn in jeder einzelnen Bude die ganze Straße entlang erblickt. Wohin er auch den Kopf wendete, stand da
     ein Krämer und winkte ihm zu. Sie ließen ihre reichen Kunden stehen und dachten nur an ihn. Er sah, wie sie in die fernsten
     Winkel der Läden liefen, um das Beste hervorzuholen, was sie zu verkaufen hatten, und daß ihre Hände förmlich vor Eifer zitterten,
     während sie es auf dem Ladentisch auslegten.
    Als der Junge immer weiter ging, sprang einer von den Kaufleuten über den Ladentisch, lief ihm nach und breitete ein Stück
     Silberbrokat und eine gewebte Tapete, die von Farben strahlte, vor ihm aus. Der Junge konnte es nicht lassen, über ihn zu
     lachen; der Krämer mußte doch begreifen, daß so ein armer Wicht wie er nicht solche Sachen kaufen konnte. Er stand still und
     streckte seine beiden leeren Hände aus, damit sie sehen sollten, daß er nichts besaß, und ihn dann in Ruhe ließen.
    Aber der Kaufmann hob einen Finger in die Höhe,nickte und schob ihm den ganzen Haufen von schönen Waren hin.
    »Ob es wohl seine Absicht ist, das alles für ein Goldstück zu verkaufen?« dachte der Junge.
    Der Kaufmann holte eine kleine, abgegriffene und schlechte Münze hervor, die elendeste, die man sehen konnte, und zeigte sie
     ihm. Und er war so darauf erpicht, zu verkaufen, daß er noch ein paar schwere silberne Becher auf den Haufen legte.
    Da fing der Junge an, in seinen Taschen zu wühlen. Er wußte ja freilich, daß er nicht einen roten Heller besaß, aber er konnte
     es doch nicht lassen, nachzufühlen.
    Alle die anderen Kaufleute standen rings um ihn her, um zu sehen, was aus dem Handel wurde, und als sie sahen, daß der Junge
     in seinen Taschen wühlte, liefen sie sämtlich an ihre Ladentische, nahmen die Hände voll von silbernen und goldenen Geschmeiden
     und boten sie ihm an. Und alle machten sie ihm begreiflich, daß sie keine andere Bezahlung verlangten, als einen einzigen
     kleinen Schilling.
    Aber der Junge wendete sowohl seine Jackentaschen wie auch seine Hosentaschen um, damit sie sehen sollten, daß er nichts besaß.
     Da füllten sich die Augen aller dieser vornehmen Kaufleute, die so viel reicher waren als er, mit Tränen. Er war schließlich
     ganz gerührt, als er sie so bekümmert sah, und er grübelte darüber nach, ob er ihnen nicht auf irgendeine Weise helfen könne.
     Da fiel ihm die kleine grünspanige Münze ein, die er vorhin am Strande hatte liegen sehen.
    Er kehrte um und lief aus Leibeskräften die Straße hinab, und das Glück war ihm hold, denn er kam zu demselben Tor hinaus,
     in das er hineingekommen war. Er stürzte hindurch und machte sich daran, nach der kleinen grünspanigen Kupfermünze zu suchen,
     die vor einer halben Stunde am Strande gelegen hatte.
    Er fand sie auch

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