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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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treiben, und die grünen Spitzen reichten bis an
     den Wasserspiegel hinauf. Und nun waren fast alle Zugvögel heimgekehrt. Die krummen Schnäbel der Brachvögel guckten aus dem
     Röhricht hervor. Die Haubentaucher segelten mit einem neuen Federkragen um den Hals umher. Und die Bekassinen waren damit
     beschäftigt, Strohhalme für ihre Nester zusammenzutragen.
    Der Knecht stieg in einen Kahn, legte Jarro auf den Boden und stängelte auf den See hinaus. Jarro, der sich nun daran gewöhnt
     hatte, nichts anderes als Gutes von den Menschen zu erwarten, sagte zu Cäsar, der auch mit dabei war, er sei dem Knecht sehr
     dankbar, daß er ihn mit auf den See hinausgenommen habe. Aber der Knecht brauche ihn nicht so fest gebunden zu halten, denn
     er habe keineswegs die Absicht, davonzufliegen. Darauf erwiderte Cäsar nichts. Er war sehr wortkarg in dieser Morgenstunde.
    Das einzige, was Jarro ein wenig merkwürdig fand, war, daß der Knecht seine Flinte mitgenommen hatte. Er konnte sich nicht
     denken, daß einer von den guten Menschen im Bauernhöfe Vögel schießen würde. Außerdem hatte ihm Cäsar gesagt, um diese Jahreszeit
     jagten die Menschen nicht. »Es ist Schonzeit!« sagte Cäsar, »aber das gilt natürlich nicht für mich.«
    Währenddessen ruderte der Knecht nach einer der kleinen, schilfumkränzten Schlamminseln hinaus. Dortstieg er aus dem Boot, sammelte altes Röhricht zu einem großen Haufen zusammen und legte sich dahinter. Die Schlinge um die
     Flügel, und mit einer langen Schnur an das Boot befestigt, durfte Jarro nun draußen auf dem Erdboden umherspazieren.
    Plötzlich gewahrte Jarro einige von den jungen Enterichen, in deren Gesellschaft er in alten Zeiten über den See hin und her
     geflogen war. Sie waren weit weg, aber Jarro rief sie mit einigen lauten Rufen zu sich heran. Sie beantworteten die Rufe,
     und ein großes, schönes Schof näherte sich. Noch ehe sie ganz herangekommen waren, begann Jarro, ihnen von seiner wunderbaren
     Rettung durch die Güte der Menschen zu erzählen. Im selben Augenblick knallten zwei Schüsse hinter ihm. Drei Enten sanken
     tot in das Röhricht und Cäsar plumpste hinaus und fing sie ein.
    Da ging Jarro ein Licht auf. Die Menschen hatten ihn gerettet, um ihn als Lockvogel zu gebrauchen! Und es war ihnen gelungen.
     Er war schuld daran, daß drei Enten tot waren. Er war nahe daran, vor Scham zu vergehen. Selbst sein Freund Cäsar, fand er,
     sah ihn voller Verachtung an, und als sie nach Hause in die Stube kamen, wagte er nicht, sich zum Schlafen neben den Hund
     zu legen.
    Am nächsten Morgen wurde Jarro wieder auf den Werder hinausgeführt. Auch diesmal erblickte er bald einige Enten. Aber als
     er sah, daß sie auf ihn zugeflogen kamen, rief er ihnen entgegen: »Weg mit euch, weg! Nehmt euch in acht! Fliegt anderswo
     hin! Hinter dem Binsenhaufen liegt ein Jäger verborgen. Ichbin nur ein Lockvogel!« Und es gelang ihm wirklich, sie daran zu hindern, in Schußweite zu kommen.
    Jarro hatte kaum Zeit, ein paar Grashalme zu kosten, so in Anspruch genommen war er vom Wache-Halten. Er rief seine Warnung,
     sobald sich ein Vogel näherte. Er warnte sogar die Haubentaucher, die er sonst nicht ausstehen konnte, weil sie die Enten
     aus ihren besten Verstecken verdrängten. Aber er konnte es nicht übers Herz bringen, schuld daran zu sein, daß ein Vogel in
     Unglück geriet. Und dank Jarros Aufmerksamkeit mußte der Knecht nach Hause zurückrudern, ohne auch nur einen Schuß abgeschossen
     zu haben.
    Aber trotzdem sah Cäsar weniger mürrisch aus als am vorhergehenden Tage, und als der Abend kam, nahm er Jarro in sein Maul
     und trug ihn an den Herd und ließ ihn zwischen seinen Vorderpfoten schlafen.
    Aber Jarro fühlte sich nicht mehr wohl in der Stube; er war sehr unglücklich. Es quälte sein Herz, wenn er daran dachte, daß
     die Menschen ihn nie geliebt hatten. Wenn die Bäuerin oder der kleine Junge kamen und ihn streichelten, steckte er den Kopf
     unter den Flügel und tat so, als schlafe er.
    Mehrere Tage hatte Jarro auf seiner traurigen Wacht aushalten müssen, und er war schon am ganzen Tåkernsee bekannt. Da geschah
     es eines Morgens, während er wie gewöhnlich rief: »Nehmt euch in acht, Vögel! Kommt mir nicht zu nahe! Ich bin nur ein Lockvogel,«
     daß ein Haubentauchernest auf den Werder zugeschwommen kam, wo er angebunden war. Das war nun an und für sich nichts Merkwürdiges.
     Es war einNest vom vorigen Jahr, und da die Haubentauchernester so

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