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Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Erster Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
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sich glücklich preisen, so lange
     sie eine solche Zufluchtsstätte haben. Aber niemand weiß, wie lange sie die Herrschaft über die Binsenwälder und Schlammufer
     behalten dürfen, denn die Menschen können nicht vergessen, daß der See eine Menge guten und fruchtbaren Bodens bedeckt, und
     einmal über das andere tauchen Pläne unter ihnen auf, ihn trocken zu legen. Und wenn diese Pläne zur Ausführung gelangten,
     würden alle diese vielen Taufende von Wasservögeln gezwungen sein, dort aus der Gegend fortzuziehen.
    Zu der Zeit, als Niels Holgersen mit den wilden Gänsen reiste, lebte am Tåkernsee ein Stockenterich, der Jarro hieß. Er war
     ein junger Vogel und hatte nicht mehr als einen Sommer, einen Herbst und einen Winter gelebt. Es war nun sein erster Frühling.
     Er war kürzlich aus Nordafrika heimgekehrt und hatte den Tåkernsee so rechtzeitig erreicht, daß da noch Eis auf dem Wasser
     war.
    Eines Abends, als er und die anderen Enteriche sich damit ergötzten, über dem See hin und her zu fliegen, schoß ein Jäger
     ein paar Schüsse auf sie ab, und Jarro wurde in die Brust getroffen. Er glaubte, er müsse sterben, um aber dem, der ihn geschossen
     hatte, nicht in die Hände zu fallen, fuhr er fort zu fliegen, so lange er konnte. Er dachte nicht daran, wohin er seinen Kursnahm, sondern strengte sich an, so weit wie möglich zu kommen. Als ihn die Kräfte verließen, so daß er nicht mehr fliegen
     konnte, befand er sich nicht mehr über dem See. Er war eine Strecke landeinwärts geflogen und sank jetzt vor einem der großen
     Bauerngehöfte nieder, die am Ufer des Tåkernsees liegen.
    Bald darauf ging ein junger Knecht über den Hof. Er erblickte Jarro und ging hin und nahm ihn auf. Aber Jarro, der nichts
     weiter wünschte, als in Frieden zu sterben, sammelte seine letzten Kräfte und biß den Knecht scharf in den Finger, damit der
     ihn loslassen sollte.
    Es gelang Jarro nicht, sich zu befreien, aber der Angriff hatte doch das Gute, daß der Knecht merkte, es war noch Leben in
     dem Vogel. Er trug ihn vorsichtig in die Stube und zeigte ihn seiner Herrin, einer jungen Frau mit einem sanften Gesicht.
     Sie nahm dem Knecht gleich Jarro aus der Hand, strich ihm über den Rücken, und trocknete das Blut ab, das zwischen den Halsfedern
     hervorsickerte. Sie betrachtete ihn genau, und als sie sah, wie schön er war mit seinem dunkelgrünen, metallschimmernden Kopf,
     seinem weißen Halsband, seinem rotbraunen Rücken und dem blauen Spiegel auf den Flügeln, fand sie wohl, es sei ein Jammer,
     daß er sterben sollte. Sie machte schnell einen Korb zurecht, und da hinein legte sie den Vogel.
    Jarro hatte fortwährend mit den Flügeln geschlagen und gekämpft, um loszukommen, als er nun aber begriff, daß die Menschen
     nicht die Absicht hatten, ihn zu töten, legte er sich mit einem Gefühl des Wohlbehagensim Korbe zurecht. Erst jetzt merkte er, wie ermattet er war infolge des Schmerzes und des Blutverlustes. Die Bäuerin trug
     den Korb in das andere Ende der Stube und stellte ihn in die Ofenecke, aber noch ehe sie ihn niedergesetzt, hatte Jarro schon
     die Augen geschlossen und war eingeschlafen.
    Nach einer Weile erwachte Jarro dadurch, daß jemand ihn leise stieß. Als er die Augen aufschlug, erschrak er so, daß er fast
     seinen Verstand verloren hatte. Jetzt war es also aus mit ihm, denn da stand einer, der schlimmer war als Menschen und Raubvögel.
     Es war kein geringerer als Cäsar, der langhaarige Jagdhund, der ihn beschnüffelte.
    Wie jammervoll bange war Jarro nicht im vorigen Sommer gewesen, als er noch ein kleines, gelbes Entlein war, sobald es über
     den Binsenwald hinschallte: »Da ist Cäsar! Da ist Cäsar!« Wenn er den braun und weiß gefleckten Hund mit dem Maul voll scharfer
     Zähne durch das Röhricht heranwaten sah, war es ihm, als sähe er den Tod selber.
    Er hatte immer gehofft, daß er nie die Stunde erleben würde, wo er Cäsar von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand.
    Aber er hatte offenbar das Unglück gehabt, gerade auf das Gehöft zu kommen, wo Cäsar beheimatet war, denn nun stand der da
     über ihn gebeugt. »Was für einer bist denn du?« brummte er. »Wie bist du hierher in die Stube gekommen? Gehörst du nicht in
     den Binsenwald?«
    Jarro hatte kaum den Mut zu antworten. »Dumußt nicht böse auf mich sein, Cäsar, weil ich hierher in die Stube gekommen bin!« sagte er. »Es ist nicht meine Schuld.
     Ich bin angeschossen. Die Menschen haben mich selbst in den Korb

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