Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil

Titel: Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Selma Lagerloef
Vom Netzwerk:
gelitten hatte, aber sie
     hatte nicht geglaubt, daß er in Lebensgefahr schwebe. Und das, hieß es, sei diesmal der Fall.
    Von dem Augenblick an, als sie dies hörte, konnte sie an nichts anderes denken, als daß nun vielleicht auch der Vorsteher
     so wie der alte Herr sterben würde, ehe es ihr möglich gewesen war, ihm zu danken. Und sie überlegte hin und her, was sie
     nur tun solle, damit ihr Dank zu ihm gelangen könne.
    Am Sonntagnachmittag ging die Lehrerin zu allen Nachbarn und fragte, ob die Kinder sie nach Nääs begleiten dürften. Sie habe
     gehört, daß der Vorsteher krank sei, und sie glaube, es werde ihn freuen, wenn die Kinderihm ein paar Lieder sängen. Es sei ja freilich schon ein wenig spät am Tage, aber der Mondschein sei an diesen Abende so
     hell und klar, daß man wohl nach Nääs hinauswandern könne. Die Lehrerin hatte ein Gefühl, daß sie noch an diesem Abend dahinaus
     müsse. Sie fürchtete, daß es am nächsten Tage zu spät sein könne.
Die Sage von Westgötland.
    Sonntag, 9. Oktober.
    Die Wildgänse hatten Bohuslän verlassen und standen in dem westlichen Teil von Westgötland in einem Teich und schliefen. Der
     kleine Niels Holgersen war, um im Trockenen zu sein, auf den Rand eines Grabens hinaufgekrochen, der quer über die sumpfige
     Wiese lief. Er war gerade im Begriff, sich einen Platz zum Schlafen zu suchen, als er eine kleine Schar Menschen die Landstraße
     daherkommen sah. Es war eine junge Lehrerin mit einem Dutzend Kinder um sich. Sie kamen in einem dichten Haufen gegangen,
     die Lehrerin in der Mitte und die Kinder ringsum sie her. Sie plauderten so munter und vertraulich, daß der Junge Lust bekam,
     eine Strecke Weges mit ihnen zu laufen und zu hören, was sie miteinander sprachen.
    Die Sache machte keine Schwierigkeiten, denn wenn er sich am Rande des Weges im Schatten hielt, war es fast unmöglich, ihn
     zu sehen. Und wo fünfzehn Menschen ans einem Wege entlang gingen, da war ein solcher Lärm von Fußtritten, daß niemand den
     Kies unter seinen kleinen Holzschuhen knirschen hören konnte.
    Um die Kinder auf der Wanderung in guter Laune zu halten, hatte die Lehrerin ihnen alte Sagen erzählt. Sie war gerade mit
     einer Sage fertig, als der Junge sich der Schar anschloß, aber die Kinder baten sie sofort, noch eine zu erzählen. »Habt ihr
     die Sage von dem alten Riesen in Westgütland gehört, der nach einer Insel hoch oben im nördlichen Eismeer zog?« fragte die
     Lehrerin. Nein, die hatten die Kinder nicht gehört, und so begann denn die Lehrerin:
    Es geschah einmal, daß ein Schiff in einer dunklen und stürmischen Nacht hoch oben im nördlichen Eismeer an einer kleinen
     Schäre scheiterte. Das Schiff zerschellte an den Klippen, und von der ganzen Besatzung retteten sich nur zwei Mann an Land.
     Dort standen sie auf der Schäre, klatschnaß und von Kälte erstarrt, und sie freuten sich natürlich sehr, als sie ein großes
     Feuer am Ufer flammen sahen. Sie eilten auf das Feuer zu, ohne an eine Gefahr zu denken. Erst als sie ganz dicht herangekommen
     waren, sahen sie, daß dort am Feuer ein schrecklich alter Riese saß, so groß und grobknochig, daß sie nicht darüber in Zweifel
     sein konnten, daß sie hier einem Mann aus dem Riesengeschlecht gegenüberstanden.
    Sie blieben stehen und überlegten, aber der Nordwind fuhr mit fürchterlicher Kälte heulend über die Schäre hin. Sie würden
     bald erfroren sein, wenn sie sich nicht an dem Feuer des Riesen erwärmen durften, und so beschlossen sie denn, sich zu ihm
     hin zu wagen.
    »Guten Abend, Vater,« sagte der Ältere von ihnen, »Wollt Ihr zwei schiffbrüchigen Seeleuten erlauben, sich an Eurem Feuer
     zu wärmen?« Der Riese fuhr aus seinenGedanken auf, und richtete sich halbwegs auf und zog sein Schwert aus der Scheide. »Was für Kerle seid ihr denn?« fragte
     er, denn er war alt und sah schlecht und wußte nicht, was für Wesen es waren, die ihn angeredet hatten.
    »Wir sind beide aus Westgötland, wenn Ihr das wissen wollt,« antwortete der Ältere von den beiden Seeleuten. »Unser Schiff
     ist hier draußen im Meer untergegangen, und wir haben das Ufer verfroren und halbnackt erreicht.«
    »Ich pflege sonst keine Menschen hier auf meiner Schäre zu dulden, aber wenn ihr aus Westgötland seid, so ist das eine andere
     Sache,« sagte der Riese und steckte sein Schwert wieder in die Scheide. »Dann dürft ihr euch hier niedersetzen und erwärmen,
     denn ich bin selbst aus Westgötland und habe viele

Weitere Kostenlose Bücher