Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
in deiner Tasche hast, von hier kommen die Briefmarken,
die wir auf unsere Briefe kleben. Von hier kommt für einen jeden Schweden etwas. Und hier haben alle Schweden etwas zu tun.
Hier braucht sich niemand fremd zu fühlen und sich nach Hause zu sehnen. Hier sind alle Schweden zu Hause.
Und wenn du von alledem liesest, was hier in Stockholm vereint ist, Klement, so vergiß nicht das letzte, was diese Stadt an
sich gezogen hat. Das sind diese alten Bauerhäuser auf der Schanze. Das sind Spielleute und Märchenerzähler. Alles, was alt
und gut ist, hat Stockholm hier nach der Schanze hinaufgezogen, um es zu ehren, und damit es draußen im Volk zu Ehren kommen
soll.
Vor allen Dingen aber, Klemmt, vergiß nicht, daß, wenn du von Stockholm liest, du hier an diesem Platz sitzen mußt. Du sollst
das muntere, glitzernde Spiel der Wellen und die strahlenden, grünen Küsten anschauen. Du mußt dafür sorgen, daß du von dem
Zauber erfaßt wirst, Klement!«
Der schöne, alte Herr hatte die Stimme erhoben, so daß sie stark und gebieterisch klang, und seine Augen blitzten. Nun erhob
er sich, machte eine Bewegung mit der Hand und verließ Klement. Und im selben Augenblick wurde es Klement klar, daß es ein sehr vornehmer Herr sein müsse, der mit ihm geredet hatte, und er verbeugte sich, so tief er konnte.
*
Am nächsten Tag kam ein königlicher Lakai mit einem großen, roten Buch und einem Brief an Klement, und in dem Briefe stand,
daß das Buch vom König sei.
Von diesem Augenblick an war der kleine, alte Klement Larsson viele Tage lang ganz aus dem Häuschen, und es war fast unmöglich,
ein vernünftiges Wort aus ihm herauszubringen. Als eine Woche vergangen war, ging er zu Doktor Hagelius und kündigte seine
Stellung. Er sei gezwungen, nach Hause zu reisen. »Was hast du da zu suchen? Plagt dich noch immer das Heimweh?« fragte der
Doktor, – »Ach nein,« sagte Klement, »damit hat es jetzt nichts mehr auf sich, aber ich muß trotzdem nach Hause.«
Klement war sehr mit sich zu Rate gegangen, denn der König hatte gesagt, er solle sich mit Stockholm vertraut machen und suchen,
sich dort zurecht zu finden, aber Klementkonnte es nicht aushalten, ehe er denen daheim nicht erzählt hatte, daß der König ihm dies gesagt habe. Er konnte nicht anders,
er mußte daheim auf dem Kirchenhügel stehen und vornehm und gering erzählen, daß der König so gut gegen ihn gewesen sei, daß er auf
derselben Bank mit ihm gesessen und ihm ein Buch geschenkt und sich Zeit gelassen habe, mit ihm, einem armen, alten Spielmann,
eine ganze Stunde zu reden, um ihn von seinem Heimweh zu kurieren. Es war etwas Großes, es den Lappen und den Mädchen aus
Dalarna hier auf der Schanze zu erzählen, aber das war doch nichts dagegen, es daheim zu erzählen!
Wenn Klement auch im Armenhause stranden sollte, so würde das nach diesem nicht so hart sein. Er war jetzt ein ganz anderer
Mann als vorher, und würde auf ganz andere Weise geachtet und geehrt werden.
Und dies neue Sehnen wurde Klement zu stark. Er mußte zum Doktor und ihm sagen, daß er gezwungen sei, zu reisen.
XXXVII. Der Adler Gorgo
Im Felsental.
Hoch oben im lappländischen Gebirge, auf einem Felsenvorsprung, der über eine schroffe Bergwand hinausragte, lag ein alter
Adlerhorst. Das Nest bestand aus Tannenzweigen, die schichtenweise quer übereinandergelegt waren. Jahr für Jahr war es erweitert
und erhöht worden undlag nun dort auf seinem Felsgesims mehrere Ellen breit und fast so hoch wie eine Lappenhütte.
Der Grat, auf dem das Adlernest lag, türmte sich über einem ziemlich großen Tal auf, das im Sommer von einer Schar Wildgänse
bewohnt wurde. Das Tal war ein ausgezeichneter Zufluchtsort für sie. Es lag so gut versteckt zwischen den Bergen, daß nur
vereinzelte Leute davon wußten, selbst von den Lappen kamen nur wenige dorthin. Mitten im Tal lag ein kleiner, runder See,
der reichlich Nahrung für die jungen Gänse lieferte, und an den Ufern, die voll von Erderhöhungen waren und an denen niedriges
Weidengestrüpp und verkrüppelte Birken wuchsen, gab es die besten Brutplätze, die sich die Gänse nur wünschen konnten.
Seit undenklichen Zeiten hatten Adler dort oben auf dem Felsgrat gewohnt und Wildgänse unten im Tal. Jedes Jahr raubten die
Adler einige von den Wildgänsen, sie hüteten sich jedoch, so viele zu rauben, daß die Wildgänse aus dem Tal verscheucht worden
wären. Die Wildgänse ihrerseits hatten auch
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