Niels Holgersens wunderbare Reise mit den Wildgaensen - Zweiter Teil
dafür, daß einst ein großer und prächtiger Wald hier gestanden hatte, aber
keine jungen Schößlinge sproßten aus dem Brandplatz hervor.
Die Leute wunderten sich darüber, daß es so lange dauerte, bis sich der Berg wieder mit Wald bekleidete, aber sie dachten
nicht daran, daß es dem Erdboden, gerade als der Waldbrand wütete, nach einer langen Dürre an Feuchtigkeit gefehlt hatte.
Daher waren nicht nur alle Bäume verbrannt, und alles was auf dem Waldboden wuchs: Heidekraut und Maiblumen und Moos und Preißelbeerengestrüpp
verschwunden, sondern auch die schwarze Fruchterde, die den Felsengrund bedeckte, war nach dem Brande trocken und lose wie
Asche geworden.Jeder Windhauch, der kam, wirbelte sie in die Luft auf, und da der Berg durch seine Lage, dem Wind sehr ausgesetzt war, wurde
eine Felsplatte nach der andern reingefegt. Das Regenwasser trug natürlich dazu bei, die Erde wegzuschwemmen, und nachdem
nun Wind und Wasser sich zehn Jahre lang redlich bemüht hatten, den Berg reinzufegen, sah er so kahl aus, daß man im Grunde
denken mußte, er würde bis an den letzten Tag der Welt so öde da liegen.
Aber eines Tages zu Anfang des Sommers versammelten sich alle Kinder aus dem Kirchspiel, in dem der abgebrannte Berg lag,
vor einer der Schulen. Jedes Kind trug eine Hacke oder einen Spaten auf der Schulter und ein Päckchen Butterbrot in der Hand.
Sobald alle versammelt waren, zogen sie in einem langen Zuge nach dem Wald hinauf. Die Fahne wurde vorausgetragen, Lehrer
und Lehrerinnen gingen nebenher, und den Beschluß machten ein Paar Waldwärter und ein Pferd, das eine Fuhre kleiner Tannen
und Tannensamen zog.
Dieser Zug hielt in keinem der Birkenwälder, die dem Dorf zunächst lagen, nein, es ging hoch oben in den Wald hinauf, auf
alten Sennpfaden, und die Füchse steckten die Köpfe aus ihrem Bau heraus und fanden, daß dies doch wunderliche Senner seien.
Der Zug zog vorüber an alten Köhlerplätzen, wo ehedem in jedem Herbst Meiler errichtet waren, und die Kreuzschnabel wendeten
den krummen Schnabel dem Zuge zu und konnten nicht begreifen, was für Köhler das waren, die da in den Wald eindrangen.
Dann kam der Zug endlich nach der großen, abgesengten Bergebene. Da lagen die Steine ganz nackt ohne diefeinen Lineenranken, die sie einstmals bedeckt hatten, und die Felsplatten waren ihres schönen, silberweißen Mooses und der
feinen, niedlichen Renntierflechten entkleidet. An den schwarzen Wassertümpeln, die sich in Felsspalten und Vertiefungen angesammelt
hatten, wuchsen weder Kallablätter noch Sauerklee. In den kleinen Fleckchen Erde, die noch zwischen den Steinen und den Rissen
zurückgeblieben waren, standen keine Farrenkräuter, keine Sternblumen, keine weißen Pyrolas, nirgends etwas von all dem Grünen
und Roten und Weichen und Sanften und Feinen, das sonst den Waldboden bedeckt.
Es war, als husche Plötzlich ein Heller Schimmer über die graue Hochebene, als alle die Kinder aus den umliegenden Dörfern
sich darüber ergossen. Das war doch wieder etwas Fröhliches und Feines, Frisches und Rosiges, etwas Junges, das im Wachsen
begriffen war. Vielleicht konnten sie der armen, verlassenen Gegend wieder etwas Leben schenken!
Als die Kinder ausgeruht und gegessen hatten, griffen sie nach Hacken und Spaten und begannen zu arbeiten. Der Waldwärter
zeigte ihnen, wie sie es machen mußten, und dann steckten sie ein kleines Pflänzchen nach dem andern in alle die kleinen Fleckchen
Erde, die sie entdecken konnten.
Während die Kinder pflanzten, schwatzten sie ganz altklug miteinander darüber, wie die kleinen Pflanzen, die sie in die Erde
hineinsteckten, das Erdreich festhalten würden, so daß es nicht weggeweht werden könne. Und nicht genug damit, denn es würde
sich auch neue Fruchterde unter den Bäumen bilden. Und dahinein fiel dannder Same, und in wenigen Jahren würden sie hier, wo jetzt nichts war als kahles Felsgestein, Himbeeren und Heidelbeeren pflücken
können. Und die kleinen Pflanzen, die sie hier einsetzten, würden so nach und nach zu großen Bäumen werden. Man konnte vielleicht
einstmals große Häuser und stolze Schiffe daraus bauen.
Waren aber die Kinder nicht jetzt auf den Berg hinaufgekommen und hätten gepflanzt, so lange noch ein wenig Erde in den Felsspalten
lag, so hätten der Wind und das Wasser jede Möglichkeit zerstört, und es würde nie wieder ein Wald auf dem Berge gewachsen
sein.
»Ja, es war wirklich Zeit,
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