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Niemalsland

Titel: Niemalsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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Körper, kalt und geschunden, lag auf dem Rücken, halb unter dem Leichnam eines riesigen Tieres begraben. Ihre Augen waren geschlossen.
    Serpentines Frauen zogen den Körper unter dem Ungeheuer hervor und legten ihn in den Schlamm.
    Serpentine kniete sich in den nassen Schmutz und fuhr mit einem Finger Hunters kalte Wange entlang, bis er ihre blutgeschwärzten Lippen erreichte, wo er einen Augenblick verweilte. Dann stand sie auf.
    »Bringt den Speer her«, sagte sie.
    Eine der Frauen hob Hunters Leiche hoch. Die andere zog den Speer aus dem Kadaver des Ungeheuers und legte ihn sich über die Schulter.
    Und dann drehten die vier Gestalten sich um und gingen den gleichen Weg wieder zurück, den sie gekommen waren, eine schweigende Prozession tief unter der Welt.
    Das Licht der Lampe flackerte auf Serpentines verwüstetem Gesicht; doch es verriet keinerlei Empfindungen, weder Glück noch Trauer.

Kapitel Neunzehn
     
    Einen Augenblick lang hatte er keine Ahnung, wer er war. Es war ein ungeheuer befreiendes Gefühl, als könnte er alles sein, was er wollte: jeder – als könnte er jede Identität ausprobieren. Er konnte ein Mann sein oder eine Frau, eine Ratte oder ein Vogel, ein Ungeheuer oder ein Gott.
    Und dann machte jemand ein raschelndes Geräusch, und er wachte vollends auf. Er war Richard Mayhew, wer auch immer das war, was auch immer das bedeutete.
    Er war Richard Mayhew, und er wußte nicht, wo er war. Steifes Leinen preßte sich an sein Gesicht. Alles tat ihm weh; einiges – der kleine Finger seiner linken Hand zum Beispiel – mehr als anderes.
    Jemand war bei ihm. Er hörte jemanden atmen.
    Er hob den Kopf und entdeckte dabei noch mehr Stellen, die schmerzten. Ein paar davon schmerzten sehr schlimm.
    Ganz weit weg – viele, viele Räume entfernt – sangen Menschen. Das Lied war so fern und so leise, daß er wußte, er würde es verlieren, wenn er die Augen öffnete: ein tiefer, melodiöser Chorgesang …
    Er schlug die Augen auf. Der Raum war klein und schwach beleuchtet. Er lag in einem niedrigen Bett, und das Rascheln, das er gehört hatte, wurde von einer Gestalt in einer schwarzen Mönchskutte verursacht, die Richard den Rücken zuwandte. Die schwarze Gestalt entstaubte das Zimmer mit einem unpassend grellbunten Staubwedel.
    »Wo bin ich?« fragte Richard.
    Die schwarze Gestalt drehte sich um. Ein sehr nervöses, schmales, dunkles Gesicht kam zu Vorschein. »Möchten Sie Wasser?« fragte der Mann, als sei ihm gesagt worden: Wenn der Patient aufwacht, muß er gefragt werden, ob er Wasser möchte, und als habe er das in den letzten zwanzig Minuten immer wieder vor sich hergesagt, um es nicht zu vergessen.
    »Ich … «, und Richard stellte fest, daß er ganz furchtbaren Durst hatte. Er setzte sich im Bett auf. »Ja, gern. Vielen Dank.«
    Der Mönch goß etwas Wasser aus einem Metallkrug in einen zerbeulten Metallbecher und reichte ihn Richard. Richard unterdrückte den Impuls, das Wasser hinunterzustürzen, und trank es langsam in kleinen Schlucken. Es war kristallkalt und rein.
    Richard sah nach unten. Seine Sachen waren weg. Man hatte ihn in ein langes Gewand gesteckt, eine Art Black-Friars-Kutte, aber grau. Sein gebrochener Finger war geschient und sauber verbunden.
    Er hob einen Finger zu seinem Ohr; darauf klebte ein Pflaster, und unter dem Pflaster fühlte es sich an, als sei die Wunde genäht worden.
    »Sie sind einer von den Black Friars«, sagte Richard.
    »Ja, Sir.«
    »Wie bin ich hergekommen? Wo sind meine Freunde? «
    Der Mönch deutete wortlos und nervös zum Korridor.
    Richard stieg aus dem Bett. Er schaute unter sein graues Gewand: Er war nackt. Sein Rumpf und seine Beine waren von diversen dunkelblauroten Flecken bedeckt, die offenbar alle mit einer Art Salbe eingerieben worden waren: Sie roch nach Hustensaft und gebuttertem Toast. Sein Knie war bandagiert. Er fragte sich, wo seine Sachen waren. Neben dem Bett standen Sandalen, und er zog sie an. Dann ging er hinaus auf den Korridor.
    Dort kam der Abt auf ihn zu, die Augen perlweiß in der Dunkelheit unter seiner Kapuze. Er hielt sich am Arm von Bruder Fuliginous fest.
    »Du bist also wach, Richard Mayhew«, sagte der Abt. »Wie fühlst du dich?«
    Richard zog ein Gesicht. »Meine Hand …«
    »Wir haben deinen Finger gerichtet. Er war gebrochen. Wir haben deine Prellungen und Wunden versorgt. Und du brauchtest Ruhe, die haben wir dir gegeben.«
    »Wo ist Door? Und der Marquis? Wie sind wir denn hergekommen?«
    »Ich ließ euch

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