Niemalsland
nannte, ging rastlos in der Gasse auf und ab. Er war ständig in Bewegung.
»Jemand hat Doors Familie umgebracht?« fragte Richard.
»Wir werden nicht besonders weit kommen, wenn Sie weiterhin alles wiederholen, was ich sage, oder?« sagte der Marquis, der jetzt vor Richard stand. »Setzen Sie sich«, befahl er. Richard sah sich in der Gasse nach einer Sitzgelegenheit um. Der Marquis legte ihm eine Hand auf die Schulter, und schon lag er platt auf dem Kopfsteinpflaster.
»Sie weiß, daß ich nicht billig bin. Was bietet sie mir denn?«
»Bitte?«
»Was springt für mich dabei heraus? Sie hat Sie als Unterhändler hergeschickt, junger Mann. Ich bin nicht billig, und zu verschenken habe ich erst recht nichts.«
Richard zuckte mit den Schultern, so gut er das im Liegen eben konnte. »Ich soll Ihnen sagen, sie möchte, daß Sie sie nach Hause begleiten – wo auch immer das sein mag – und ihr einen Leibwächter besorgen.«
Selbst wenn der Marquis stehenblieb, waren seine Augen noch unaufhörlich in Bewegung. Nach oben, nach unten, nach links und nach rechts, als ob er nach etwas suchte, über etwas nachdachte. Addierte, subtrahierte, kalkulierte.
Richard fragte sich, ob dieser Mann noch ganz bei Trost war.
»Und was bietet sie mir?«
»Na ja. Nichts.«
Der Marquis hauchte seine Fingernägel an und polierte sie an seinem Mantelkragen. Dann wandte er sich ab. »Sie bietet mir. Nichts.« Er hörte sich beleidigt an.
Richard rappelte sich wieder auf. »Also, von Geld hat sie nichts gesagt. Sie meinte nur, sie würde Ihnen dann einen Gefallen schulden.«
Die Augen blitzten. »Was denn für einen Gefallen?«
»Einen wirklich großen«, sagte Richard. »Sie meinte, sie würde Ihnen einen wirklich großen Gefallen schulden.«
De Carabas grinste wie ein Tiger, der ein verirrtes Bauernkind erblickt. Dann wandte er sich Richard zu. »Und Sie haben sie allein gelassen?« fragte er. »Obwohl Croup und Vandemar dort draußen unterwegs sind? Also, worauf warten Sie noch?«
Er kniete nieder und nahm einen kleinen Metallgegenstand aus einer Tasche. Er steckte ihn in einen Schachtdeckel am Rand der Gasse und drehte ihn. Der Schachtdeckel ging ganz leicht auf; der Marquis steckte den Metallgegenstand wieder weg und zog etwas aus einer anderen Tasche, das Richard ein wenig an einen langen Feuerwerkskörper oder eine Fackel erinnerte.
Er fuhr mit der Hand daran entlang, und aus einem Ende schlug eine scharlachrote Flamme.
»Darf ich etwas fragen?« fragte Richard.
»Aber nein«, sagte der Marquis. »Sie stellen keine Fragen. Sie bekommen keine Antworten. Sie weichen nicht vom Wege ab. Sie denken noch nicht einmal über das nach, was Sie hier gerade erleben. Verstanden?«
»Aber – «
»Am wichtigsten: Kein Aber. Nun denn: Ein Fräulein in Not wartet auf unsere Hilfe«, sagte de Carabas. »Und es gilt keine Zeit zu verlieren. Bewegen Sie sich!«
Richard bewegte sich: Er kletterte die metallene Leiter hinab, die unter dem Kanalschacht in die Wand eingelassen war, und hatte mittlerweile dermaßen den Boden unter den Füßen verloren, daß er ein Bathyskaph gebraucht hätte, um wieder bis an die Oberfläche sehen zu können.
Richard fragte sich, wo sie waren. Ein Abwasserkanal schien das nicht zu sein. Vielleicht war es ein Tunnel für Telefonkabel oder für ganz kleine Züge. Oder für … irgend etwas. Er stellte fest, daß er nicht besonders viel darüber wußte, was sich unter seinen Füßen abspielte.
Er war nervös, denn er hatte Angst, mit den Füßen irgendwo hängenzubleiben, in der Dunkelheit zu stolpern und sich den Knöchel zu brechen. De Carabas eilte unbekümmert voran. Offenbar war es ihm gleichgültig, ob Richard mit ihm Schritt halten konnte oder nicht.
Die rote Flamme warf riesige Schatten an die Tunnelwände. Richard rannte, um den Marquis einzuholen.
»Mal sehen … «, sagte de Carabas. »Ich muß sie zum Markt bringen. Der nächste findet in, hmm, zwei Tagen statt, wenn ich mich recht entsinne, was ich selbstverständlich immer tue. Bis dahin kann ich sie verstecken. «
»Markt?« fragte Richard.
»Der Wandermarkt. Aber es ist besser, wenn Sie nichts darüber wissen. Keine weiteren Fragen.«
Richard sah sich um. »Na ja, ich wollte Sie gerade fragen, wo wir jetzt sind. Aber ich nehme an, Sie würden sich weigern, es mir zu sagen.«
Der Marquis grinste wieder. »Sehr gut!« sagte er. »Sie haben schon genug Probleme.«
»Das können Sie laut sagen«, seufzte Richard. »Meine Verlobte hat
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